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Deutscher Straßen- und Verkehrskongress in Berlin

13.-15.10.2004


Die FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen), die als die geistige Zentrale der Straßenbaulobby bezeichnet werden kann, veranstaltet alle zwei Jahre in wechselnden Orten einen großen Kongress, der von einer Ausstellung begleitet wird. Im Jahr 2004 war die Bundeshauptstadt an der Reihe. Das Teilnehmerverzeichnis umfasste 1100 Namen, darunter keine Vertreter von Parteien oder Umweltorganisationen. Die Straßenbaulobby kann ihre unzeitgemäßen Aktivitäten ungestört von jeder öffentlichen politischen Diskussion entfalten. Nur die Berliner Verkehrs-Bürgerinitiativen haben sich anlässlich des Straßenbaukongresses zu Wort gemeldet. Allerdings ist zu beobachten, dass innerhalb der FGSV durchaus über Grundsatzfragen des Straßenbaus diskutiert wird, wenn auch sehr vorsichtig und viel zu spät.

Das Hauptziel der Straßenbaulobby, mehr Geld für mehr Straßen, formulierte sehr schön Jürgen Henschel, Vorsitzender der Bundesfachabteilung Straßenbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Er wehrte sich entschieden gegen die von anderer Seite erhobene Forderung „Bildung statt Beton“ und beklagte einen angeblichen Fehlbetrag im Straßenbauetat von jährlich 2,5 Milliarden Euro. Er begründete seine massiven Forderungen unter anderem mit dem angeblichen Verkehrswachstum und versuchte dies mit Datenmaterial aus der DIW-Broschüre „Verkehr in Zahlen“ zu belegen. Möglicherweise hatte er sich die Zahlen selbst gar nicht angesehen. Denn sonst wäre ihm aufgefallen, dass der Personenverkehr seit 1999 sinkt. (Siehe auch Bericht über Referat von Prof. Zumkeller).

Es wurden 36 Fachreferate gehalten. Nicht nur für Straßenbaufachleute von Interesse waren die Referate über die Entwurfsrichtlinien für den Straßenbau, die alle überarbeitet werden. Es soll in Zukunft eine neue Richtliniengeneration geben, die aus nur noch drei Regelwerken bestehen wird:

Die Regelwerke liegen im Entwurf vor und befinden sich zur Zeit im Anhörungsstadium.

Die Querschnitte werden etwas breiter. Damit wird der Trend der letzten Jahrzehnte wieder rückgängig gemacht. In den RAS-Q 82 war für sechsstreifige Autobahnen der Querschnitt RQ 37,5 vorgesehen. Dagegen kennt die RAS-Q 96 dafür den zwei Meter schmäleren RQ 35,5. In Zukunft wird wieder ein etwas breiterer Querschnitt gebaut.

Bei den Landstraßen, also Straßen ohne Mittelstreifen, soll der dreistreifige Querschnitt, bei dem der mittlere Streifen abwechslungsweise mal der einen oder mal der anderen Fahrtrichtung zum Überholen zur Verfügung gestellt wird, mehr in Mode kommen.

Die Querschnitte der EAE waren – beeinflusst von Leuten wie Heiner Mohnheim – nicht breiter als unbedingt notwendig. In den RASt wird man wieder etwas breitere Querschnitte finden. Das hat aber keine praktischen Auswirkungen, weil sich die städtischen Ämter in aller Regel ohnehin nicht an die EAE gehalten haben.

Die Vortragsreihe „Nachhaltigkeit im Verkehr“ war ein schönes Beispiele für die beliebige Dehnbarkeit des Begriffs Nachhaltigkeit. Dies galt insbesondere für die diametralen Referate von Prof. Zumkeller, Karlsruhe, und Prof. Baum, Köln.

Im Jahr 2000 ist aus demografischen Gründen (Pillenknick) ein Knick in der Entwicklung des Personenverkehrs eingetreten, den Zumkeller und andere schon 1988 prognostiziert hatten. Dazu legte Zumkeller neue Forschungsergebnisse vor, die mit aktuellen DIW-Erkenntnissen übereinstimmen (Wochenberichte des DIW 41/2004). Danach stagniert seit 1999 die Personenverkehrsentwicklung. Zumkeller spricht vom „(noch?) zunehmenden Güterverkehr“.

Die Verkehrsentwicklung ist in Deutschland nicht überall gleich. Zumkeller unterscheidet zwischen

 

Bemerkenswert war, dass Zumkeller die Frage stellte, ob in den Wachstumsregionen noch weitere neue Straßen erforderlich wären. Für die Stagnations- und Schrumpfungsregionen stellte er diese Frage schon gar nicht. Zumkeller forderte sogar, den nicht-motorisierten Verkehr angesichts der wachsenden Zahl älterer Menschen so zu pflegen, dass er eine bedeutende Rolle bei der Bereitstellung hoher Stadtqualität spielen kann.


Das Referat von Prof. Zumkeller als pdf-Datei. PDF-Link


Angesichts dieser straßenbaukritischen Äußerungen – Prof. Zumkeller hatte faktisch einen Straßenbaustopp gefordert – hätte man erwartet, dass die 500 anwesenden Straßenbaulobbyisten den Referenten steinigen. Es protestierte aber niemand und im übrigen konnten sich die Straßenbaulobbyisten beim folgenden Referat von Prof. Baum erholen. Baum knüpfte an die BVWP-Bewertung an und machte abenteuerliche Vorschläge wie die erheblichen Fehler beim BVWP-Bewertungsverfahren (siehe Pfleiderer und Braun, 1995) noch vergrößert werden können. Baum unterscheidet zwischen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit.

Zur ökologischen Nachhaltigkeit des Straßenbaus rechnet er unter anderem die in Wirklichkeit nicht stattfindende Verringerung der Emissionen. Zur ökonomischen Nachhaltigkeit rechnet er den angeblichen Nutzen aus fiktiven Zeitgewinnen – es müsste eigentlich Geschwindigkeitsgewinne heißen – des Straßenbaus, den er mit komplizierten Tricks vergrößert. Unter sozialer Nachhaltigkeit versteht Baum die Angleichung der sozialen Verhältnisse. Er behauptet, herausgefunden zu haben, dass arme Leute vom Straßenbau mehr profitieren als Reiche. Deswegen sei Straßenbau sozial nachhaltig.

 

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