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Neue, wichtige Verkehrsstudie:

Der Straßenbau ist die wichtigste Determinante der Verkehrsentwicklung


acatech, eine 1997 gegründete Vereinigung von etwa 200 Wissenschaftlern, hat einen von VW finanzierten Projektbericht „Mobilität 2020 – Perspektiven für den Verkehr von Morgen“ (Schwerpunkt: Straßen- und Schienenverkehr) herausgegeben. Darin steht das im Klartext, was bisher nur wenige unabhängige Verkehrswissenschaftler gesagt haben: Der Straßenbau führt zu einer starken Zunahme des Verkehrs und ist in den nächsten Jahren die mit Abstand wichtigste Bestimmungsgröße für die Verkehrsentwicklung. Diese Aussage muss als sensationell bezeichnet werden, denn die konservative Verkehrswissenschaft hat bisher jeden Einfluss des Straßenbaus auf das Verkehrswachstum geleugnet.

Der acatech-Bericht ist für Umweltverbände und Verkehrs-Bürgerinitiativen und alle wichtig, die sich über die zukünftige Verkehrsentwicklung auf Straße und Schiene Gedanken machen oder sich für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur interessieren. Der Bericht kann bestellt werden (20 €) oder im Internet heruntergeladen werden: www.acatech.de.

Am 19.12.06 hielt Herr Dr. Waßmuth von der PTV Karlsruhe an der Uni Stuttgart ein Referat zum Thema „Mobilität 2020 – Entwicklung der Verkehrsnachfrage im Straßenverkehr“. Die PTV hat an dem acatech-Bericht mitgearbeitet und die Verkehrsmodelle geliefert.

Das von der PTV entwickelte Verkehrsmodell kann als alternativer BVWP (Bundesverkehrswegeplan) bezeichnet werden kann. Das gesamte deutsche Straßennetz mit seinen Belastungen im Jahr 2002 wurde simuliert. Es sind nicht alle kleinen Straßen enthalten. Aber es ist anzunehmen, dass diese Modellierungs-Aufgabe jetzt mit brauchbarer Genauigkeit gelöst ist. Bisher gab es das nicht. Der Aufwand für das Verkehrsmodell muss groß gewesen sein.

Bei der Prognose für den BVWP 2003 wurde der durch Straßenbau induzierte Verkehr zwar berücksichtigt. Dies ist jedoch in der Öffentlichkeit und bei den Parlamentariern, die über den BVWP abgestimmt haben, nicht bekannt. Es steht auch nirgends, wie groß der durch Straßenbau induzierte Verkehr ist. Man verschleiert den induzierten Verkehr, in dem man so tut, als ob die durch Straßenbau induzierte Verkehrszunahme auch dann eintreten würde, wenn gar keine Straßen gebaut werden. Genau so wird es in den üblichen Verkehrsuntersuchungen gerechnet. Das ist Mumpitz. Der acatech-Bericht unterscheidet sich in diesem zentralen Punkt vom BVWP und macht diese Schönrechnerei bei den Prognosen nicht mit. Es wird erklärt, warum neue Straßen Verkehr induzieren und es werden Zahlen genannt.

Im acatech-Bericht steht korrekt: „Durch die neuen Verbindungen, etwa die A 20, ist es möglich, in der gleichen Zeit weiter zu fahren.“ Oder: „Ein wesentlicher Grund für den Fahrleistungszuwachs ist das erweiterte Autobahnnetz, das längere Fahrten in kürzerer Zeit ermöglicht.“

Nach welcher mathematischen Beziehung der durch Straßenbau induzierte Verkehr berechnet wird, geht aus dem acatech-Bericht nicht hervor. Es finden sich keine Formeln. Aber sehr wahrscheinlich wird ein Modell verwendet, welches die verkehrssteigernde Wirkung des Straßenbaus realitätsnah abbildet.

Im acatech-Bericht steht, dass als Folge des Straßenbaus zwischen 2002 und 2020 im Mittel ca. 1,5 Kilometer pro Weg weiter gefahren werde, was immerhin fast 10 % sei. Da nur die im BVWP enthaltenen Bundesfernstraßen berücksichtigt wurden, lässt dies die Aussage zu, dass die Gesamtheit aller neuen Straßen eine Verkehrszunahme von ungefähr 1 % pro Jahr induziert. Denn außer Bundesstraßen und Autobahnen werden Landesstraßen und nicht klassifizierte Straßen gebaut.

Damit ist eine Schätzung von 1993 bestätigt: Siehe Pfleiderer, R und Braun, L. (1993).

Seit einigen Jahren stagniert der Verkehr oder steigt nur noch leicht an. Man kann also sagen: Ohne Straßenbau würde der Pkw-Verkehr sinken. Wenn der Pkw-Verkehr noch zunimmt, dann ist das eine Folge des Straßenbaus.

Beim Güterverkehr sind die Aussagen des acatech-Berichts weniger deutlich. Man kann aber davon ausgehen, dass es auch beim Güterverkehr einen Zusammenhang zwischen Straßenbau und Verkehrsentwicklung gibt. Aber dieser Zusammenhang ist weniger signifikant als beim Personenverkehr.

Im acatech-Bericht findet sich neben der richtigen Darstellung auch die konservative, falsche Denkweise, wonach manche Straßenbauten ein Beitrag zum Umweltschutz sind und zur Einsparung von Treibstoff führen. In der Einleitung, die offenbar von jemand geschrieben worden war, der sich mit den Verkehrsmodellen nicht beschäftigt hat, stehen Sätze, die aus der Mottenkiste der Interessenwahrer des Straßenbaus stammen: „... sind längere Fahrtzeiten und erhöhte Abgas- und Lärmwerte zu einer alltäglichen Normalität geworden. Sie belasten dabei nicht nur Mensch und Umwelt, sondern verursachen einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden, ...“.

Es ist so: Durch Straßenbau wird der Verkehr schneller und deswegen wird in der gleichen Zeit wie bisher mehr gefahren. Deswegen nimmt der Treibstoffverbrauch durch Straßenbau grundsätzlich zu. Die üblichen Verkehrsuntersuchungen, die bei konkreten Straßenplanungen vorgelegt werden, gehen dagegen davon aus, dass im Ohnefall und im Mitfall das Verkehrsaufkommen gleich ist. Wenn soge rechnet wird, kommt heraus, dass durch Staubeseitigung Treibstoffverbrauch und Emissionen sinken. Das ist falsch.

Alle Umweltgruppen und Bürgerinitiativen, die sich mit konkreten Straßenprojekten beschäftigen, sollten die üblichen Verkehrsuntersuchungen, die den induzierten Verkehr ignorieren, zurückweisen und fordern, dass die Prognosen mit dem von der PTV verwendeten Programm gerechnet werden. Dann kommt heraus, wie es in der Wirklichkeit ist, nämlich dass durch Straßenbau der Verkehr massiv zunimmt und die Entlastungen nicht wie versprochenen eintreten.

Im BVWP spielt eine fragwürdige Berechnung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses (NKV) der einzelnen Straßenprojekte eine zentrale Rolle. Bei dieser gesamtwirtschaftlichen Bewertung wurde früher so getan, als ob es überhaupt keinen induzierten Verkehr gäbe. Im BVWP 2003 wird nur circa 7,7 % des induzierten Verkehrs berücksichtigt. Diese Schönrechnerei – man könnte auch sagen Täuschung – wird gemacht, weil bei voller Berücksichtigung des induzierten Verkehrs ein viel schlechteres NKV heraus kommen würde. Leider beschäftigt sich der acatech-Bericht nicht mit der gesamtwirtschaftlichen Bewertung.

Es ist klar, dass ein von VW finanzierter Bericht nicht zu dem Schluss kommen kann, dass keine weiteren Straßen mehr zu bauen sind oder gar dass der Verkehr entschleunigt werden muss und das vorhandene Straßennetz geordnet zurückgebaut werden sollte. Vielmehr wird ungeniert mehr Geld für mehr Infrastruktur gefordert: „Planung, Bau und Betrieb der Infrastruktur sollten gegenüber dem heutigen Zustand beschleunigt, keinesfalls jedoch verzögert werden.“

Wie in vielen Verkehrs-Studien, zum Beispiel im Sondergutachten „Umwelt und Straßenverkehr“ des Sachverständigenrats für Umweltfragen oder in der Schrift des Umweltbundesamtes „Determinanten der Verkehrsentstehung“ muss man also auch im acatech-Bericht an den richtigen Stellen lesen und Richtiges von Falschem trennen.

Im acatech-Bericht werden außerdem Modelle zur Finanzierung der Bundesfernstraßen und des Bahnbetriebs diskutiert.

Februar 2007

Rudolf Pfleiderer

 

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