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Die schöngerechneten und weich kritisierten Straßenbauprojekte

Gert Marte
Bekassinenstr. 94
28357 Bremen
gert.marte@gmx.de



Inhalt


1.     Einführung

2.     Der induzierte Verkehr
2.1   Einleitung
2.2   Der durch Straßenbau induzierte Verkehr
2.3   Messungen des induzierten Verkehrs
2.4   Zusammenfassung

3.     Verkehrsmodelle
3.1   Einleitung
3.2   Verkehrsmodelle für den ÖV
3.3   Verkehrsmodelle für den MIV
3.4   Q-V-Diagramme
3.5   Prognosematrix
3.6   Zusammenfassung

4.     Bewertungsverfahren
4.1   Einleitung
4.2   Ein Beispiel aus der Wirtschaft
4.3   Bewertung aus Sicht des Verkehrsteilnehmers
4.4   Monetäre Bewertung von Reisezeitersparnissen
4.5   Bewertung aus Sicht der Allgemeinheit
4.6   Zusammenfassung

5.     Standardisierte Bewertung von ÖV-Investitionen
5.1   Einleitung
5.2   Verkehrsmodell
5.3   Bewertungsverfahren
5.4   Zusammenfassung

6.     Die schöngerechnete Bundesverkehrswegeplanung
6.1   Einleitung
6.2   Die Kosten-Nutzen-Analyse
6.3   Verkehrsmodell und Bewertungsverfahren
6.4   Fehlerfaktoren
6.5   Beispiel
6.6   Zusammenfassung

7.     Schöngerechnete Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen
7.1   Einleitung
7.2   Der induzierte Verkehr
7.3   Bewertung des induzierten Verkehrs durch die FGSV und Cerwenka
7.4   Zusammenfassung und Ausblick

8.     Harte Straßenbaukritiker
8.1   Einleitung
8.2   Knoflacher
8.3   Pfleiderer
8.4   Grenier
8.5   Zusammenfassung und Ausblick

9.     Die weiche Straßenbaukritik der umweltorientierten Verkehrsplaner
9.1   Einleitung
9.2   Umweltorientierte Bundesverkehrswegeplanung
9.3   Kostenminimierende Verkehrsplanung
9.4   Zusammenfassung und Ausblick

10.    Die ungezielte Straßenbaukritik der Stadt- und Regionalplaner
10.1  Einleitung
10.2  Das Märchen von der Stadt der kurzen Wege
10.3  Integrierte Stadt- und Verkehrsplanung mit klarer Aufgabenverteilung


Anhang A: Die auf Verkehrsleistung und auf Fahrten bezogene Konsumentenrente

A.1   Einleitung
A.2   Ein Beispiel aus der Wirtschaft
A.3   Die auf Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente
A.4   Die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente
A.5   Die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente bei variabler Fahrtenhäufigkeit
A.6   Die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente bei variabler Zielwahl

Literatur


1. Einführung

Da es starke wirtschaftliche Interessen am Straßenbau gibt, besteht die Tendenz, die Nutzenberechnung so zu manipulieren, dass ein möglichst hoher rechnerischer Nutzen entsteht. Die Kosten werden entsprechend nach unten manipuliert. Straßenbauprojekte werden schöngerechnet. Die Frage ist, wie stark die schöngerechneten Nutzen-Kosten-Verhältnisse von den realen Nutzen-Kosten-Verhältnissen abweichen.

Zunächst muss man sich ganz allgemein damit auseinandersetzen, wie stark die Ergebnisse von Schätzverfahren von den Interessen der Auftraggeber abhängen. Wahlprognosen unterscheiden sich nur um einige Prozent von den wirklichen Wahlergebnissen, da die Wähler die Wahlergebnisse grob selbst vorrausschätzen können, unterschiedlich gefärbte Wahlprognosen veröffentlicht werden und die wirklichen Wahlergebnisse in kurzem Zeitabstand bekannt werden. Kostenvoranschläge für öffentliche Hochbauten weisen höhere Fehler auf, da diese Kosten von den Bürgern weniger gut abgeschätzt werden können und die wirklichen Kosten erst nach längerer Zeit bekannt werden. Die Besucherzahl der Weltausstellung in Hannover wurde um den Faktor drei zu hoch eingeschätzt, obwohl klar war, dass die richtige Zahl auf Dauer nicht verheimlicht werden kann.

Bei der Bundesverkehrswegeplanung tritt nun der extreme Fall auf, dass die wirklichen Zahlen nie bekannt werden. Es gibt auch keine Kosten-Nutzen Rechnungen aus Sicht der Straßenbaukritiker. Es gibt zwar eine umfangreiche Studie des Umweltbundesamtes zur umweltorientierten Bundesverkehrswegeplanung (UBA, 1999). Diese Stellungnahme gibt aber keine Antwort auf die Frage, wie stark die schöngerecneten Nutzen-Kosten-Verhältnisse von den realen Nutzen-Kosten-Verhältnissen abweichen.

Da bei der Bundesverkehrswegeplanung die wirklichen Zahlen nie bekannt werden und eine Bewertung aus Sicht der Straßenbaukritiker fehlt, wäre eine Überschätzung des Nutzens von Straßenbauprojekten um weniger als den Faktor drei eine große Überraschung. Dass ein um den Faktor drei überschätzter Nutzen im Rahmen der Erwartungen liegt, geht auch schon daraus hervor, dass für Projekte des öffentlichen Verkehrs nur ein Nutzen-Kosten-Verhältnis größer als eins gefordert wird (Intraplan, 2000). Eine Fehleranalyse ist daher notwendig.

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen über die Frage, wie stark die Berücksichtigung des induzierten Verkehrs die Nutzen-Kosten Verhältnisse beeinflusst. Cerwenka kommt für ein Beispiel zu dem Ergebnis, dass sich das Nutzen-Kosten-Verhältnis um 15 % veringert (Cerwenka, 1997, S.242). Englmann kommt zu dem Ergebnis, dass die Nutzen-Kosten-Verhältnisse um 10 bis 20 % abnehmen (Englmann, 2001). Die Ergebnisse von Cerwenka und Englmann stimmen also in guter Näherung überein. Sie werden aber auf ganz unterschiedliche Weise gewonnen.

Cerwenka vernachlässigt die Belastungsabhängigkeit der Reisezeiten. Cerwenka berücksichtigt aber den induzierten Verkehr voll, indem er ein konstantes Reisezeitbudget annimmt. Außerdem benutzt Cerwenka die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente, die auch bei einer Änderung der Umwege zu sinnvollen Ergebnissen führt. Die Annahmen von Cerwenka stimmen weitgehend mit den Annahmen der Standardisierten Bewertung von ÖV-Investitionen überein (Heimerl, 2000). Das von Cerwenka vorgeschlagene Verfahren ist also praktisch erprobt.

Englmann berücksichtigt die Belastungsabhängigkeit der Reisezeiten. Der induzierte Verkehr wird weitgehend vernachlässigt, da nur 7,7 % des Verkehrs als zielvariabel angenommen werden. Zur Bewertung des induzierten Verkehrs benutzt Englmann die auf die Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente, was bei einer Änderung der Umwege zu unsinnigen Ergebnissen führt.

Es wäre denkbar, dass sich die Bewertung von Straßenbaumaßnahmen nicht wesentlich ändert, wenn man die Erhöhung der Reichweite durch Temposteigerung vernachlässigt. Das ist nicht der Fall. Bei der Bundesverkehrswegeplanung 2003 wurde nur für 7,7 % der Fahrten angenommen, dass sich die Ziele ändern können (Englmann, 2001). Dies hat zu einer Nutzenminderung um 10 –20 % geführt. Wenn man die 7,7 % auf 100 % hochrechnet, dann ergeben sich Nutzenminderungen von 130 – 260 %. Straßenbau ließe sich in der Regel nicht mehr rechtfertigen. Man müsste Straßenrückbau betreiben. Das ist auch plausibel, da man mit einem Straßenrückbau gleichzeitig die Verkehrsbelastungen verringern und die Zersiedelung mindern könnte.

Man kann nun ein sinnvolles Konzept entwickeln, indem man die realitätsnahen und durch Messungen belegbaren Annahmen aufgreift und die realitätsfernen Annahmen verwirft. Man muss die Reisezeiten als belastungsabhängig annehmen, den induzierten Verkehr voll berücksichtigen und die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente zur Bewertung heranziehen. Wichtig ist außerdem, dass bei der Bestimmung der Prognosematrix darauf geachtet wird, dass Netzbelastungen jenseits der Kapazitätsgrenzen vermieden werden.

Außer der Berücksichtigung des induzierten Verkehrs gibt es weitere Punkte, die für die Frage von Bedeutung sind, wie stark die schöngerechneten Nutzen-Kosten-Verhältnisse von den realen Werten abweichen. Wichtig sind folgende Punkte:

Ein ganz zentraler Fehler bei den benutzten Verkehrsmodellen ist die Vernachlässigung des induzierten Verkehrs. Deshalb wird in Kapitel 2 dargestellt, dass man den induzierten Verkehr in völlig ausreichender Genauigkeit messen kann. Der induzierte Verkehr wird also nicht vernachlässigt, weil man ihn nicht kennt. Er wird vernachlässigt, um einen möglichst hohen Nutzen von Straßenbauprojekten vorzutäuschen.

In Kapitel 3 werden Verkehrsmodelle behandelt. Es wird dabei hauptsächlich die Frage behandelt, wie der induzierte Verkehr berücksichtigt wird. Insbesondere wird auf die trickreiche Kombination aus einer Berücksichtigung des induzierten Verkehrs bei der Prognosematrix und der Vernachlässigung des induzierten Verkehrs bei dem Vergleich von Mitfall und Ohnefall eingegangen.

In Kapitel 4 wird aufgezeigt, dass Verkehrsmodelle und Bewertungsverfahren aufeinander abgestimmt sein müssen. Für Verkehrsmodelle mit konstanter Fahrtenmatrix können reale Zeit- und Betriebskostenersparnisse zu Bewertung herangezogen werden. Bei Verkehrsmodellen mit Berücksichtigung des induzierten Verkehrs müssen die auf konstante Start- und Zielpunkte der Fahrten bezogenen Zeit- und Betriebskostenersparnisse zur Bewertung benutzt werden.

In Kapitel 5 wird die Standardisierte Bewertung von ÖPNV-Investitionen dargestellt, da das benutzte Verkehrsmodell den beim ÖV auftretenden induzierten Verkehr voll berücksichtigt. Das beim ÖV benutzte Verkehrsmodell kann deshalb als Ausgangspunkt dafür dienen, die Verkehrsmodelle für den MIV so weiterzuentwickeln, dass der induzierte Verkehr voll berücksichtigt wird. Bei der Standardisierten Bewertung wird auch das für Verkehrsmodelle mit induziertem Verkehr geeignete Bewertungsverfahren benutzt. Dieses Bewertungsverfahren kann für den MIV übernommen werden.

Die Kapitel 6 und 7 zeigen, wie stark bei Straßenbauprojekten die Nutzen-Kosten-Verhältnisse überschätzt werden.

Das Kapitel 8 nennt einige wenige harte Straßenbaukritiker, die eine Konfrontation mit der Straßenbaulobby nicht scheuen. Diese harte Kritik wurde bisher weder von den Straßenbaukritikern noch von den umweltorientierten Verkehrsplanern aufgegriffen, obwohl eine sinnvolle umweltorientierte Verkehrsplanung ohne Berücksichtigung der harten Kritik gar nicht möglich ist.

Das Kapitel 9 über die weiche Straßenbaukritik der umweltorientierten Verkehrsplaner soll zeigen, wie eine harte Kritik umgangen wird. Vermutlich scheuen die umweltorientierten Verkehrsplaner vor einer Konfrontation mit der Straßenbaulobby zurück.

Kapitel 10 beschreibt die ungezielte Straßenbaukritik der Stadt- und Regionalplaner, die darauf beruht, dass auch Stadt- und Regionalplaner eine Vorstellungswelt haben, die im Widerspruch zum konstanten Reisezeitbudget steht.

2. Der induzierte Verkehr

2.1 Einleitung

Die Vernachlässigung des durch Straßenbau induzierten Verkehrs ist erstaunlich, da bis vor wenigen Jahrzehnten selbstverständlich davon ausgegangen wurde, dass schnellere Verkehrsmittel zu größeren Wegelängen führen und damit die Verkehrsleistung vergrößern (Leibrand, 1980, S.71). Es war auch klar, dass sich die im Verkehr verbrachte Zeit seit der Römerzeit vor zwei Jahrtausenden in Städten nicht wesentlich geändert hat und 1-1,5 Stunden beträgt (Leibbrand, 1980, S.70). Was sich geändert hat, sind die Geschwindigkeiten und die pro Tag zurückgelegten Distanzen. Bei einem Fußgängertempo von 4 km/h ergeben 1,25 h im Verkehr eine Distanz von 5 km. Autofahrer erreichen heute in Städten eine von Tür zu Tür gemessene Geschwindigkeit von rund 30 km/h. In 1,25 Stunden werden dann 40 km zurückgelegt.

Die Verlängerung der Wege wurde als wesentlicher Nutzen der schnelleren Verkehrsmittel angesehen, da längere Wege die Erschließung größerer Stadtflächen ermöglichen und damit die Versorgung der wachsenden Stadtbevölkerung mit ausreichend großen und hellen Wohnungen möglich machen.

Bei Planungsverfahren für den öffentlichen Verkehr wurde die Vorstellung beibehalten, dass die im Verkehr verbrachte Zeit nahezu konstant bleibt und schnellere Verkehrsmittel zu einer Verlängerung der mittleren Tagesdistanz führen (Intraplan, 2000, S.46).

Nur bei Planungsverfahren für den Straßenbau wurde die vorher übliche Vorstellungswelt verlassen und davon ausgegangen, dass schnellere Verkehrsmittel zu Zeiteinsparungen führen. Dass diese Vorstellung wirklichkeitsfremd ist, kann man sich leicht klar machen. Wenn beim Übergang von der Fußgängerstadt zur Autostadt die Beschleunigung des Verkehrs zu Zeiteinsparungen geführt hätte, dann würden Autofahrer heute noch 5 Kilometer pro Tag zurücklegen und dazu 10 Minuten brauchen. Es ist nicht notwendig, Messungen durchzuführen, um festzustellen, dass diese Vorstellung wirklichkeitsfremd ist.

Möglicherweise ist die Veränderung der Vorstellungswelt von Verkehrsplanern darauf zurückzuführen, dass die Erschließung immer größerer Stadtflächen unter dem Schlagwort „Zersiedelung“ negativ bewertet wird. Anstatt sich der Diskussion zu stellen, ob es sinnvoll ist, immer größere Verkehrsbelastungen in Kauf zu nehmen und damit die Zersiedelung zu fördern, wurde der offensichtliche Zusammenhang von Geschwindigkeiten und Wegelängen einfach geleugnet.

Geschwindigkeitsänderungen können unterschiedliche Ursachen haben. Je nach Ursachen werden die Verkehrsleistungsänderungen unterschiedlich bezeichnet. Der Begriff „induzierter Verkehr“ bezeichnet z.B. nur einen Teil der Verkehrsleistungsänderungen. Im folgenden Abschnitt wird dieser Teil genau definiert. Es werden dabei weitgehend Begriffe benutzt, die mit denen von Haag, 2000, S. 7-9 übereinstimmen.


2.2 Der durch Straßenbau induzierte Verkehr

Unter Neuverkehr versteht man den allein auf eine Angebotsverbesserung zurückzuführenden Teil einer neu entstehenden Nachfrage nach Verkehr. Es wird dabei die in einem Verkehrsmittel neu entstehende Nachfrage betrachtet. Der Neuverkehr setzt sich zusammen aus induziertem, umgelenktem und verlagertem Verkehr innerhalb des gesamten Verkehrsnetzes.

Umgelenkter Verkehr infolge verkehrlicher Infrastrukturmaßnahmen ergibt sich durch veränderte Routenwahl. Verlagerter Verkehr beruht auf einer Änderung der Verkehrsmittelwahl.

Führt eine verkehrliche Maßnahme infolge einer Angebotsveränderung zu Neuverkehr, kann dieser in induzierten, umgelenkten und verlagerten Verkehr unterschieden werden. Der induzierte Verkehr kann auch negativ sein. Ein positiver induzierter Verkehr entsteht durch

Vorwiegend zeigt sich positiver induzierter Verkehr in Fahrten zu entlegeneren Zielen, was bei den Rückfahrten zu entfernteren Startpunkten führt.

Die Verkehrszunahme im Personenverkehr durch Temposteigerungen lässt sich am besten durch die Formel


(1) S = V*T


mit S = Personenkilometer pro Tag und Person,
T = Reisezeitbudget pro Tag und Person
und V = S/T = mittlere Geschwindigkeit


beschreiben. Gl.(1) bezieht sich auf alle Verkehrsmittel. Auf alle Verkehrsmittel bezogen ist das Reisezeitbudget in guter Näherung unabhängig von der Geschwindigkeit. Nach Gl.(1) steigt dann die Verkehrsleistung (Personenkilometer pro Tag und Person) proportional zur mittleren Geschwindigkeit an.

Beim Güterverkehr sind keine Messungen darüber bekannt, wie stark die Verkehrsleistung von der Geschwindigkeit abhängt. Da der Personenverkehr quantitativ deutlich überwiegt, reicht es für grobe Abschätzungen aus, wenn man auch für den Güterverkehr ein konstantes Reisezeitbudget annimmt.

Gl.(1) gilt für alle Verkehrsmittel. Da sich der Begriff Neuverkehr auf die Änderung des MIV bezieht, ist es sinnvoll, zusätzlich zu Gl.(1) eine auf den MIV bezogene Gleichung zu betrachten.


(2) SM = VM * TM


mit SM = Personenkilometer pro Tag und Person im MIV
TM = Reisezeitbudget pro Tag und Person im MIV
und VM = SM/TM = mittlere Geschwindigkeit im MIV


Bei Gl.(2) muss man beachten, dass das Reisezeitbudget TM im MIV von der Verkehrsmittelwahl abhängt, da das Reisezeitbudget T nach Gl.(1) konstant ist, das alle Verkehrsmittel umfasst.

Das Reisezeitbudget T setzt sich aus den Reisezeitbudgets aller Verkehrsmittel zusammen


(3) T = TM + TÖ + TR + TF


mit TÖ = Reisezeitbudget pro Tag und Person im ÖV
TR = Reisezeitbudget pro Tag und Person im Radverkehr
TF = Reisezeitbudget pro Tag und Person im Fußgängerverkehr


Nur wenn sich die Summe der Reisezeitbudgets TÖ+ TR +TF nicht ändert, bleibt auch TM konstant.

Gl.(2) umfasst bei konstantem Reisezeitbudget TM den umgeleiteten und den induzierten Verkehr. Wenn Verkehr verlagert wird, dann ändert sich TM.

Wenn man den induzierten Verkehr getrennt vom umgeleiteten Verkehr untersuchen will, dann kann man sich auf die Fahrtenmatrizen beziehen.


Wenn der verlagerte Verkehr vernachlässigt werden kann oder getrennt erfassst wird, dan läßt sich der induzierte Verkehr durch die Änderung der Fahrtenmatrix des MIV beschreiben.


Da sich die Fahrtenhäufigkeiten nur wenig ändern, werden zeitlich weiter entfernte Ziele gewählt, wenn der induzierte Verkehr positiv ist..


2.3 Messungen des induzierten Verkehrs

Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Messverfahren, um herauszufinden, wie der Verkehr bei Straßenbaumaßnahmen zunimmt. Man kann die Verkehrsleistungen bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten messen und man kann die Verkehrsleistung vor und nach einer Straßenbaumaßnahme messen.

Da sich die Geschwindigkeiten im ÖV und MIV um den Faktor zwei unterscheiden, kann man ohne großen Messaufwand feststellen, wie sich die Geschwindigkeitserhöhung auf die Tagesdistanz auswirkt. Bei verhaltenshomogenen Gruppen erweist sich das Zeitbudget als erstaunlich unabhängig von der Geschwindigkeit (Bild 1). Die Tagesdistanz wächst deshalb in guter Näherung proportional zur Tagesgeschwindigkeit an.



Ohne Pkw-Verfügbarkeit
Mit Pkw-Verfügbarkeit

Stadt
Land
Reisezeitbudget/(min/d)
83,3
98,1
98,1
Tagesgeschwindigkeit/(km/h)
17,4
28,3
37,7
Tagesdistanz/km
24,2
46,2
61,6

Bild 1 Reisezeiten, Tagesgeschwindigkeiten und Tagesdistanzen für erwerbstätige Männer (Herz, 1984, S.60, S. 70)


Wenn man in Bild 1 die Werte in der rechten Spalte mit den Werten in der linken Spalte vergleicht, dann steigt das Reisezeitbudget um den Faktor 1,2, die Tagesgeschwindigkeit steigt um den Faktor 2,2 und die Tagesdistanz steigt um den Faktor 2,5. Um unterschiedliche Messungen zu vergleichen, kann man die Geschwindigkeitselastizität der Tagesdistanz benutzen.


(1) Geschwindigkeitselastizität =
relative Änderung der Tagesdistanz /
relative Geschwindigkeitsänderung
= ((61,6-24,2)/24,2)/((37,7-17,4)/17,4)
= 1,3

Für die Messwerte in der linken und rechten Spalte von Bild 1 ergibt sich also eine Geschwindigkeitselastizität von 1,3. Wenn man die mittlere Spalte mit der rechten Spalte vergleicht, dann ergibt sich die Geschwindigkeitselastizität 1,0.

Man kann auch vor und nach Straßenbauvorhaben den durch Straßenbau induzierten Verkehr direkt messen. Da die Geschwindigkeitserhöhungen bezogen auf das Untersuchungsgebiet meist klein sind, ist der Messaufwand groß und die Ergebnisse sind unsicher. Insbesondere bei zu kleinem Untersuchungsraum wird der induzierte Verkehr leicht unterschätzt. Goodwin kommt in einer zusammenfassenden Untersuchung zu dem Ergebnis, dass langfristig betrachtet das Reisezeitbudget in guter Näherung konstant ist (Goodwin, 1996, S.41). Kurzfristig wird nur die Hälfte der eingesparten Zeit reinvestiert. Es dauert also einige Zeit bis die eingesparten Reisezeiten voll reinvestiert werden.


2.4 Zusammenfassung

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Reisezeitbudget eine der stabilsten Kenngrößen des Verkehrs ist und in sehr guter Näherung als unabhängig von der Geschwindigkeit angenommen werden kann. Auf jeden Fall ist die Annahme eines konstanten Reisezeitbudgets wesentlich realitätsnäher als die Annahme, dass die Fahrtenmatrix von der Geschwindigkeit unabhängig ist.

Es ist zwar aufwändig, die Geschwindigkeitselastizität bei Straßenbauprojekten genügend genau zu messen. Bei Verkehrsmodellen kann man aber ganz leicht feststellen, wie groß die Geschwindigkeitselastizität ist. Das ist für die verkehrspolitische Diskussion von großer Bedeutung. Straßenbaukritiker sollten bei Verkehrsprojekten unbedingt verlangen, dass die Geschwindigkeitselastizität offen ausgewiesen wird. Man kann dann kontrollieren, ob der induzierte Verkehr angemessen berücksichtigt wird oder nicht.

Bei konstantem Reisezeitbudget ist die Geschwindigkeitselastizität der Verkehrsleistung gleich 1. Die Geschwindigkeitselastizität der Verkehrsleistung ist allerdings nicht gleich 0, wenn man den induzierten Verkehr vernachlässigt. Durch den umgelenkten Verkehr kann sich die Verkehrsleistung auch bei konstanter Fahrtenmatrix verändern.

3.Verkehrsmodelle

3.1 Einleitung

Unter der Vorraussetzung, dass sich durch Ausbaumaßnahmen die Verkehrsmittelwahl nicht wesentlich ändert, kann man Verkehrsmodelle benutzen, die sich primär auf ein Verkehrsmittel beziehen. Deshalb werden in Abschnitt 3.2 Verkehrsmodelle untersucht, die sich primär auf den ÖV beziehen. In Abschnitt 3.3 folgen Verkehrsmodelle, die sich primär auf den MIV beziehen.


3.2 Verkehrsmodelle für den ÖV

Bild 1 zeigt den Ohnefall und Bild 2 den Mitfall für ein Verkehrsmodell, das primär auf den ÖV zugeschnitten ist. Der MIV ist zwar mit erfasst. Es wird aber angenommen, dass sich die Reisezeiten im MIV durch den Ausbau für den ÖV nicht ändern. Diese Annahme ist etwas künstlich. Sie macht aber den Vergleich von ÖV-Projekten unabhängig von der Frage, ob der MIV ausgebaut oder rückgebaut werden soll.


Grafik 1

AB: 10 km,

tÖ = 40 min FÖ = 2 000 Fahrten/d

VÖ = 15 km/h SÖ = 20 000 km/d TÖ = 80 000 min/d


tM = 20 min FM = 10 000 Fahrten/d

VM = 30 km/h SM = 100 000 km/d TM =200 000 min/d


T = 280 000 min/d


Bild 1 Ohnefall


Grafik 2

AB: 10 km,

tÖ = 36 min FÖ = 2 222 Fahrten/d

VÖ = 16,7 km/h SÖ = 22 222 km/d TÖ = 80 000 min/d


tM = 20 min FM = 10 000 Fahrten/d

VM = 30 km/h SM = 100 000 km/d TM =200 000 min/d


T = 280 000 min/d


Bild 2 Mitfall


In Bild 2 ist keine Änderung der Verkehrsmittelwahl berücksichtigt. Eine Berücksichtigung ist möglich. TM wird dann kleiner und TÖ entsprechend größer. Das gesamte Zeitbudget T bleibt konstant.


3.3 Verkehrsmodelle für den MIV

Bei Verkehrsmodellen für den MIV wird davon ausgegangen, dass Gl.(2.2, 2) gilt. Es gibt zwei Klassen von Verkehrsmodellen. Eine Klasse hält im wesentlichen die Fahrtenmatrix konstant. Die andere Klasse geht von einem nahezu konstanten Reisezeitbudget TM aus. Da nach Kapitel 2 das Reisezeitbudget weitgehend unabhängig von der Geschwindigkeit ist, sind die Verkehrsmodelle mit konstantem Reisezeitbudget richtig und die Modelle mit konstanter Fahrtenmatrix falsch.

Es ist auf den ersten Blick überraschend, dass in der Praxis falsche Verkehrsmodelle benutzt werden. Der einzig erkennbare Grund dafür ist, dass der rechnerische Nutzen von Verkehrsausbaumaßnahmen stark sinkt, wenn man die durch Geschwindigkeitserhöhungen verursachte Verkehrsleistungszunahme berücksichtigt.

In Bild 1 ist der Ohnefall für ein ganz einfaches Beispiel dargestellt.


Grafik 3

AB: 10 km, 20 min   BC: 1 km

FAB = 10 000 Pers/d

V = 30 km/h   S = 100 000 km/d   T = 200 000 min/d


Bild 1 Ohnefall


Bild 2 zeigt den Mitfall unter der Vorraussetzung konstanter Wegehäufigkeiten und eines konstanten Reisezeitbudgets. Die Verkehrsleistung steigt.


Grafik 4

AB: 10 km, 18 min   BC: 1 km, 2 min

FAC =10 000 Pers./d

V = 33,3 km/d   S = 110 000 km/d   T= 200 000 min/d


Bild 2 Mitfall


Bild 3 zeigt den Mitfall unter der Vorraussetzung konstanter Wegehäufigkeiten und konstanter Fahrtenmatrix. Das Reisezeitbudget nimmt ab und es ergeben sich Reisezeitersparnisse, die eine wesentliche Basis für die Nutzenberechnung darstellen.


Grafik 4

AB: 10 km, 18 min   BC: 1 km

FAB = 10 000 Pers/d

V = 33,3 km/h   S = 100 000 km/d   T = 180 000 min/d


Bild 3 Mitfall bei konstanter Wegehäufigkeit und konstanter Fahrtenmatrix


In Bild 4 werden Verkehrsmodelle für den MIV dargestellt, die den induzierten Verkehr voll berücksichtigen.


  Verkehrsmodelle
  Reisezeitbudget Fahrtenmatrix
Intraplan, 2000, S.27, S. 46 konstant (Widerstandsbudget) variabel
Knoflacher, 1986, S. 456 konstant variabel
Cerwenka, 1997, S. 242 konstant (Kostenbudget) variabel
Thust, 1999, S. 107, S. 125 konstant variabel

Bild 4 Verkehrsmodelle mit voller Berücksichtigung des induzierten Verkehrs


Beim öffentlichen Verkehr wird seit Jahrzehnten ein Verkehrsmodell benutzt, das den induzierten Verkehr voll berücksichtigt (Intraplan, 2000, S. 46).

Knoflacher hat schon sehr früh darauf hingewiesen, dass Straßenbaumaßnahmen vorwiegend durch Reisezeiteinsparungen begründet werden, die es in Wirklichkeit nicht gibt, da die Reisezeitbudgets in guter Näherung konstant sind (Knoflacher, 1986, S. 456). Es folgt daraus, dass Verkehrsmodelle benutzt werden müssen, die das konstante Reisezeitbudget berücksichtigen

Cerwenka schlägt ein Modell mit konstanten Kostenbudgets vor (Cerwenka, 1997, S. 242). Er geht davon aus, dass der induzierte Verkehr die Reisezeiten nicht beeinflusst, was unrealistisch ist und dazu führt, dass die Wirkung des induzierten Verkehrs unterschätzt wird.

Thust beschreibt ein Verkehrsmodell mit konstanter Wegehäufigkeit und konstantem Reisezeitbudget. Die Konvergenz des von Thust beschriebenen Verfahrens ist zwar nur für konstante Reisezeiten nachgewiesen. Nach den bisherigen Erfahrungen konvergiert das Verfahren aber auch bei variablen Reisezeiten.


3.4 Q-V-Diagramme

Den Zusammenhang zwischen Verkehrsstärke Q (Belastung) und Geschwindigkeit V wird in Q-V-Diagrammen dargestellt. Bild 1 zeigt ein Beispiel. Es ist der ungefähre reale Verlauf sowie der bisher bei der Bundesverkehrswegeplanung verwendete Verlauf für die zweistreifige Richtungsfahrbahn einer ebenen, geraden Autobahn angegeben (LNV, 1998, S. 55).


Diagramm 1

Bild 1 Q-V-Diagramm für eine zweistreifige Richtungsfahrbahn einer Autobahn, realer Verlauf und Verlauf nach dem BVWP-Verfahren.


Der obere Zweig des Q-V-Diagramms (real) beschreibt den frei fließenden Verkehr. Bei geringer Belastung (Q klein) ist die Geschwindigkeit hoch. Mit zunehmender Belastung sinkt die Geschwindigkeit.

Der näherungsweise senkrechte Bereich beschreibt den Zustand einer Autobahn bei maximaler Belastung (Kapazität). Die Geschwindigkeit pendelt zwischen einem niedrigen und hohen Wert hin und her, was durch Q-V-Diagramme nicht beschrieben wird.

Der Bereich mit konstanter Geschwindigkeit von 20 km/h soll den Staubereich beschreiben. Es wird in den Computermodellen so getan, als ob unter Staubedingungen beliebig viele Fahrzeuge verkehren könnten. Es wird ein realitätsferner Staubereich angenommen. Ohne diese realitätsfremde Annahme würden die Computerprogramme keine Lösungen finden. Sie würden häufig melden, dass der für den Ohnefall angenommene Verkehr auf dem Netz des Ohnefalls nicht untergebracht werden kann und damit falsch ist. Durch die Annahme des realitätsfernen Staubereichs liefern die Computerprogramme das Ergebnis, dass im Ohnefall gewaltige Reisezeiten entstehen und die Kapazität des Straßennetzes unbedingt erhöht werden muss.


3.5 Prognosematrix

Es soll nicht genauer beschrieben werden, wie die Prognosematrix erstellt wird. Wichtig ist nur, dass die Prognosematrix für den Mitfall erstellt wird und ein konstantes Reisezeitbudget angenommen wird. Beim Mitfall wird also der induzierte Verkehr voll berücksichtigt.

Haag weist darauf hin, dass für die BVWP-Prognose des Fernverkehrs ein Modell mit konstantem Reisezeitbudget benutzt wird (Haag, 1999, A1-3). Das Reisezeitbudget wird durch Änderungen der Wegehäufigkeiten konstant gehalten. Da die Netzbelastungen nur unwesentlich davon abhängen, wie die Reisezeitbudgets konstant gehalten werden, ist das Modell annähernd richtig. Warum für die Prognose ein anderes Modell benutzt wird als für die Bewertung, lässt sich wissenschaftlich nicht begründen. Die verkehrspolitische Begründung ist aber klar. Je höher der für die Zukunft prognostizierte Verkehr ist, desto höher wird der rechnerische Nutzen von Verkehrsausbaumaßnahmen.


Diagramm 2

Bild 1 Q-V-Diagramm für eine zweistreifige Richtungsfahrbahn und für eine dreistufige Richtungsfahrbahn einer Autobahn ( Belastung Q bleibt gleich)


Bild 1 zeigt, dass sich die Geschwindigkeit von 100 km/h für eine dreistreifige Autobahn auf 20 km/h für eine zweistreifige Autobahn reduziert, wenn man eine für beide Fälle gleiche Belastung Q annimmt. Bild 2 zeigt den Ohnefall (zweistreifige Richtungsfahrbahn) und Bild 3 den Mitfall (dreistreifige Richtungsfahrbahn), wenn Q konstant gehalten wird.


Grafik 1

AB: 20 km,

tM = 12 min

VM = 100 km/h


Bild 2 Ohnefall



Grafik 1

AB: 20 km,

tM = 60 min

VM = 20 km/h

Reisezeitersparnis 48 min pro Fahrt und Person


Bild 3 Mitfall



Bild 4 zeigt, dass die Geschwindigkeit nur von 100 km/h auf 80 km/h absinkt, wenn man ein konstantes Reisezeitbudget annimmt.


Diagramm 3

Bild 4 Q-V-Diagramme für eine zweistreifige Richtungsfahrbahn und für eine dreistufige Richtungsfahrbahn einer Autobahn (Reisezeitbudget ZB bleibt gleich)



Bild 5 zeigt den Mitfall bei konstantem Reisezeitbudget.


Grafik 1

AB: 20 km,

tM = 50 min

VM = 80 km/h

Reisezeitersparnis 3 min pro Fahrt und Person


Bild 5 Mitfall (Reisezeitbudget konstant)


Aus den Bildern 3 und 5 ergibt sich, dass sich durch die Vernachlässigung des induzierten Verkehrs ein um den Faktor 16 zu hohe Reisezeitersparnisse ergeben. Da das Netz nicht am ganzen Tag an jedem Ort überlastet ist, wird der Fehler bei realen Netzen deutlich kleiner.

Aus den Bildern 1 und 4 erkennt man, dass es von entscheidender Bedeutung ist, ob man ein Verkehrsmodell mit konstanter Fahrtenmatrix oder ein Verkehrsmodell mit konstantem Reisezeitbudget wählt. Es ist aber auch von großem Einfluss, dass die Prognosematrix für den Mitfall (dreispurige Autobahn) ermittelt wird. Wenn man die Prognosematrix für den Ohnefall ermitteln würde, dann wären die Fehler durch die Vernachlässigung des induzierten Verkehrs weit geringer.


3.6 Zusammenfassung

Da die Verkehrsmodelle an mehreren Stellen geändert werden müssen, um Verkehrsnetze mit höheren Belastungen annähernd richtig zu beschreiben, wird ein großer Überzeugungsaufwand nötig sein. Thust hat aber die theoretischen Grundlagen für die notendige Weiterentwicklung der Verkehrsmodelle gelegt (Thust, 1999).

4. Bewertungsverfahren

4.1 Einleitung

Wenn man ein konstantes Reisezeitbudget annimmt und damit den induzierten Verkehr voll berücksichtigt, dann entstehen bei Straßenbaumaßnahmen keine Reisezeitersparnisse. Reisezeitersparnisse können deshalb nicht zur Bewertung herangezogen werden (Knoflacher, 1986,S. 457). Dies ist wichtig, da die in der Praxis benutzten Verfahren schwerpunktmäßig Reisezeitersparnisse zur Bewertung heranziehen.

Es liegt für Straßenbaugegner der Schnellschluss nahe, dass Straßenbaumaßnahmen, die zu keinen Reisezeitersparnissen führen, auch keinen Nutzen haben. Dieser Schnellschluss ist ein Fehlschluss.

Dass die Bewertung von Straßenbaumaßnahmen mit induziertem Verkehr umstritten ist, ist erstaunlich, da beim ÖV der induzierte Verkehr seit Jahren berücksichtigt wird und ein Bewertungsverfahren benutzt wird, das sich problemlos auf den MIV übertragen lässt (Intraplan, 2000, S. 56). Das ist nur zu erklären, wenn man annimmt, dass die Entwickler von Bewertungsverfahren für den MIV das für den ÖV benutzte Bewertungsverfahren nicht kennen. Cerwenka schlägt z.b. ein Bewertungsverfahren für den MIV vor, das in guter Näherung mit dem Bewertungsverfahren für den ÖV übereinstimmt, ohne auf diesen Tatbestand hinzuweisen (Cerwenka, 1997).

Um das Problem der Bewertung bei konstantem Reisezeitbudget und damit variabler Verkehrsleistung zu verdeutlichen, wird in Abschnitt 4.2 ein einfaches Beispiel aus der Wirtschaft vorgestellt. Dabei wird von der in Bild 1 dargestellten Analogie von Kunden und Verkehrsteilnehmern ausgegangen.


Kunde
Verkehrsteilnehmer
Warenmenge
Verkehrsmenge
Kosten
Zeit- und Betriebskosten

Bild 1 Analogie zwischen Kunden und Verkehrsteilnehmern


In Abschnitt 4.3 wird die in Abschnitt 4.2 für Kunden beschriebene Bewertungsmethode auf Verkehrsteilnehmer übertragen.

Im Anhang A wird gezeigt, dass die auf die Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente zu unsinnigen Ergebnissen führen kann, da Umwege auf schnellen Umgehungsstraßen auch dann positiv bewertet werden, wenn sich die Reisezeiten zwischen festen Punkten A und B vergrößern.

In Abschnitt 4.4 werden Kosten aus Sicht der Allgemeinheit betrachtet, um zu einer Bewertung aus volkswirtschaftlicher Sicht zu kommen.


4.2 Ein Beispiel aus der Wirtschaft

Bild 1 zeigt ein Beispiel aus der Wirtschaft mit variabler Nachfrage. Variable Nachfrage soll heißen, dass bei geringeren Preisen größere Warenmengen gekauft werden.


Ohnefall: Der Kunde kauft 1 kg Äpfel, die 2 EUR kosten
Mitfall: Die Äpfel werden billiger und kosten 1,90 EUR pro kg. Der Kunde kauft 1,05 kg und muss 2 EUR dafür bezahlen. (Nutzen: 0,10 EUR)

Bild 1 Ein Beispiel mit variabler Nachfrage und gleich bleibenden Gesamtkosten


Das in Bild 1 dargestellte Beispiel mit gleich bleibenden Gesamtkosten erscheint zunächst etwas künstlich. Dieser Sonderfall wurde gewählt, um die Ergebnisse leicht auf den Verkehrsbereich übertragen zu können. Auch die Bezeichnungen Ohnefall (ohne Preissenkung) und Mitfall (mit Preissenkung) wurden aus dem Verkehrsbereich entlehnt.

Im Mitfall sinkt der Preis pro kg Äpfel von 2 EUR auf 1,90 EUR. Die Ersparnis von 0,10 EUR wird in den Kauf von 0,053 kg Äpfel reinvestiert. Die Frage ist, welchen Nutzen die 0,053 kg Äpfel haben, da sich die Preise im Ohnefall und im Mitfall unterscheiden. Wählt man als vorsichtige Abschätzung den geringeren Preis des Mitfalls, dann ergibt sich als Nutzen 0,1 EUR. Der Nutzen ergibt sich also aus den fiktiven auf eine konstante Warenmenge bezogenen Ersparnissen. Real wird bei dem Beispiel nichts gespart, da die Gesamtausgaben von 2 EUR unverändert bleiben.


4.3 Bewertung aus Sicht des Verkehrsteilnehmers

Die aus Sicht des Verkehrsteilnehmers auftretenden Kosten (Zeitkosten, Betriebskosten) werden interne Kosten genannt. Die Bewertung aus Sicht des Verkehrsteilnehmers kann man analog zu dem Beispiel aus der Wirtschaft nach Abschnitt 4.2 durchführen. Zunächst werden nur Zeitkosten betrachtet. Bild 1 zeigt den Ohnefall und Bild 2 den Mitfall mit konstantem Reisezeitbudget und konstanter Wegehäufigkeit.


Grafik

AB: 10 km, 20 min   BC: 1 km

FAB = 10 000 Pers./d V = 30 km/h   S = 100 000 km/d   TAB = 200 000 min/d   T = 200 000 min/d

Bild 1 Ohnefall



Grafik 1

AB: 10km,18 min   BC: 1 km, 2min

FAC = 10 000 Pers/d

V = 33 km/h   S = 110 000 km/d   TAB = 180 000 min/d   T = 200 000 min/d

Nutzen = 20 000 min/d


Bild 2 Mitfall bei konstanter Wegehäufigkeit und konstantem Reisezeitbudget


Man kann die auf konstante Start- und Zielpunkte A und B bezogene fiktive Zeitersparnis von 20 000 min/d zur Bewertung heranziehen.


Das Bewertungsverfahren


auf eine konstante Fahrtenmatrix bezogene fiktive Zeiteinsparungen


gilt nicht nur für konstante Reisezeitbudgets. Es ist allgemein anwendbar und gilt auch für den Sonderfall konstanter Fahrtenmatrix. Für den Sonderfall mit konstanter Fahrtenmatrix sind die fiktiven Reisezeiteinsparungen gleich den realen Reisezeiteinsparungen. Daraus folgt, dass die bisher in der Praxis benutzen Bewertungsverfahren richtig wären, wenn durch Straßenbaumaßnahmen kein induzierter Verkehr entstehen würde.

Bei den Betriebskosten kann man analog zu den Zeitkosten vorgehen. Man kann bei genügend kleinen Temposteigerungen die auf eine konstante Fahrtenmatrix bezogenen Betriebskostensenkungen zur Bewertung heranziehen. Es ergibt sich dann das Bewertungsverfahren für die internen Kosten.


Auf eine konstante Fahrtenmatrix bezogenen fiktive Zeit- und Betriebskosteneinsparungen


Die Betriebskosten fallen als monetäre Kosten an. Die Zeitkosten müssen noch in monetäre Werte umgerechnet werden, was weitere Messungenauigkeiten zur Folge hat, die zur Manipulation einladen.


4.4 Die monetäre Bewertung von Reisezeitersparnissen

Bei der monetären Bewertung von Reisezeitersparnissen sind zwei Fälle zu unterscheiden. Im ersten Fall werden die Reisezeiten als Arbeitszeiten bezahlt. Dann kann man diese Arbeitskosten zur Bewertung heranziehen. Dieser Fall tritt beim Wirtschaftsverkehr auf.

Beim zweiten Fall werden die Reisezeiten nicht bezahlt. In diesem Fall ist eine Messung der Zahlungsbereitschaft am zweckmäßigsten. An Mautstellen kann man z.B. feststellen, welche Zahlungsbereitschaft für Reisezeitersparnisse besteht. Man muss diese Reisezeitersparnisse natürlich auch auf festgelegte Start- und Zielpunkte beziehen.


4.5 Bewertung aus Sicht der Allgemeinheit

Wenn man eine Bewertung aus volkswirtschaftlicher Sicht durchführen will, dann muss man zu den Kosten aus Sicht der Verkehrsteilnehmer (interne Kosten) die Kosten aus Sicht der Allgemeinheit (externe Kosten) addieren. Externe Kosten sind z. B.



Dabei sind die Unfallkosten ein Grenzfall. Bei Unfällen liegt der eigene Schaden eines Verkehrsteilnehmers in der gleichen Größenordnung wie der Schaden für die übrigen Verkehrsteilnehmer. Bei den Umweltbelastungen und den Lärmkosten fallen die Kosten einer Autofahrt ganz überwiegend bei anderen Einwohnern an. Sie sind deshalb eindeutig den externen Kosten zuzurechnen.

In der Regel erhöht der induzierte Verkehr die externen Kosten. Deshalb ist die Berücksichtigung des induzierten Verkehrs auch für die Ermittlung der externen Kosten von großer Bedeutung.


4.6 Zusammenfassung und Ausblick

Bei der Bewertung ist wichtig, dass man die für Verkehrsmodelle mit unelastischer Nachfrage (konstante Fahrtenmatrizen) richtige Bewertungsmethode nicht auf Verkehrsmodelle mit elastischer Nachfrage überträgt. Bei Verkehrsmodellen mit unelastischer Nachfrage kann man den Nutzen aus Sicht des Verkehrsteilnehmers (internen Nutzen) mit Hilfe der realen Zeit- und Betriebskostenersparnisse berechnen. Bei Verkehrsmodellen mit elastischer Nachfrage (mit Berücksichtigung des induzierten Verkehrs) muss man den Nutzen aus Sicht des Verkehrsteilnehmers mit Hilfe der auf eine konstante Fahrtenmatrix bezogenen fiktiven Zeit- und Betriebskostenersparnisse berechnen (Bild 1).

Zur Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des ÖV werden seit vielen Jahren die auf eine konstante Fahrtenmatrix bezogenen Zeit- und Betriebskostenersparnisse benutzt (Intraplan, 2000, S. 56). Man kann deshalb hoffen, dass sich dieses Bewertungsverfahren in der überschaubaren Zukunft auch für den MIV durchsetzen lässt. Als ersten Schritt auf diesem Weg kann man anstreben, dass die Entwickler der Bewertungsverfahren für den MIV das für den ÖV benutzte Verfahren kennen lernen.



Bewertung aus Sicht des Verkehrsteilnehmers

Zeit- und Betriebskostenersparnisse des verbleibenden Verkehrs (Konsumentenrente)
Reale Zeit und Betriebskostenersparnisse
Heimerl
X

Cerwenka
X

Helms X


Bild 1 Bewertungsverfahren für Verkehrsmodelle mit elastischer Nachfrage

(Heimerl: Intraplan, 2000, S. 56
 Cerwenka: Cerwenka, 1997, S. 229; Cerwenka, 1998, S. 186-187
 Helms: Helms, 2000, S. 112)

5. Standardisierte Bewertung von ÖV-Investitionen

5.1 Einleitung

Bei der Standardisierten Bewertung von ÖV-Investitionen wird seit vielen Jahren ein Verkehrsmodell benutzt, das durch die Annahme eines konstanten Reisezeitbudgets den induzierten Verkehr voll berücksichtigt (Intraplan, 2000, S. 46). Es wird auch ein für dieses Modell geeignetes Bewertungsverfahren benutzt. Es ist deshalb naheliegend, von der Standardisierten Bewertung auszugehen, wenn man die volle Berücksichtigung des induzierten Verkehrs auch bei Planungsverfahren für den Straßenverkehr erreichen will.

In früheren Versionen der Standardisierten Bewertung wurde der induzierte Verkehr mit Hilfe des als konstant angenommenen Reisezeitbudgets ermittelt. In der Version 2000 wird der induzierte Verkehr mit Hilfe eines sogenannten Wiederstandsbudgets berechnet. Das Widerstandsbudget enthält außer realen Reisezeitbudgets eine Vielzahl von Zeitzuschlägen. Es wird von der „Arbeitshypothese“ ausgegangen, dass dieses Widerstandsbudget konstant ist. Wünschenswert wären Messungen, die zeigen, dass das Widerstandsbudget weniger von der Geschwindigkeit abhängt als das Reisezeitbudget.

Da beim ÖV die Reisezeiten nicht vom induzierten Verkehr abhängen, kann man davon ausgehen, dass die Bewertungsergebnisse nicht wesentlich davon abhängen, ob man den induzierten Verkehr mit Hilfe des Reisezeitbudgets oder des Widerstandsbudgets berechnet.


5.2 Verkehrsmodell

Bei der Standardisierten Bewertung wird ein Verkehrsmodell benutzt, das das Reisezeitbudget durch eine Änderung der Fahrtenhäufigkeit konstant hält. Aus Bild 1 für den Ohnefall und Bild 2 für den Mitfall folgt, dass die Ausbaumaßnahme die Reisezeiten um 4 Minuten verkürzt. Durch eine Erhöhung der Fahrtenzahl im Mitfall wird das Reisezeitbudget von 80 000 Minuten pro Tag konstant gehalten.


Grafik

AB: 10 km, 40 min

FAB = 2 000 Fahrten/d

V = 15 km/h   S = 20 000 km/d   T = 80 000 min/d


Bild 1 Ohnefall



Grafik

AB: 10 km, 36 min

FAB = 2 222 Fahrten/d

V = 16,67 km/h   S = 22 222 km/d   T = 80 000 min/d

Reisezeitersparnisse des verbleibenden Verkehrs = 8000 min/d


Bild 2 Mitfall



5.3 Bewertungsverfahren

Bei der Standardisierten Bewertung werden die Mobilitätssteigerungen durch die Reisezeitersparnisse des verbleibenden Verkehrs erfasst. Aus den Bildern 5.2,1 und 5.2,2 folgt, dass die Reisezeitersparnisse des verbleibenden Verkehrs von 2000 Fahrten/Tag gleich 4 min*2000 Fahrten/d = 8000 min/d sind.

Die Betriebskostenersparnisse werden ebenso auf den verbleibenden Verkehr bezogen.


5.4 Zusammenfassung

Bei der Standardisierten Bewertung von ÖV-Investitionen wird ein Verkehrsmodell benutzt, das den induzierten Verkehr durch die Annahme eines konstanten Reisezeitbudgets voll berücksichtigt. Außerdem wird ein Bewertungsverfahren benutzt, das zur Bewertung von Verkehrsmodellen mit elastischer Nachfrage geeignet ist. Bild 1 zeigt die Klassifizierung des Verkehrsmodells und des Bewertungsverfahrens, die bei der Standardisierten Bewertung benutzt werden.



Reale Zeit-und Betriebskosten ersparnisse Fahrtenmatrix

konstant
Reisezeitbudget

konstant
Reisezeit- und Betriebskosten ersparnisse des verbleiben den Verkehrs
STANDI X


X
BVWP 92,3%

X
X

23,7%
?



EWS
X
X

Knoflacher
X

?
?
Pfleiderer
X

X

Grenier a
X

X
X
Grenier b
X


X
UBA 99


X

UBA 02
X




Wenn man die Zielrichtung verfolgt, in allen Verkehrsmodellen den induzierten Verkehr voll zu berücksichtigen, dann kann man von der Standardisierten Bewertung ausgehen. Da die Reisezeiten beim ÖV nicht wesentlich von der Belastung abhängen, kann man die Standardisierte Bewertung als einfachen Sonderfall ansehen. Es verbleibt dann noch die Aufgabe, Verkehrsmodelle und Bewertungsverfahren für den Fall weiterzuentwickeln, dass die Reisezeiten im Netz von der Belastung abhängen.

6. Die schöngerechnete Bundesverkehrswegeplanung

6.1 Einleitung

Bei der Bundesverkehrswegeplanung werden die positiven und die negativen Auswirkungen von Straßenbauprojekten einander gegenübergestellt und der Nettonutzen mit den Kosten verglichen. Theoretisch müsste diese Rechenmethode zu einer ausgewogenen Beurteilung von Straßenbauprojekten führen. Der Straßenbau ist aber mit so starken Interessen verknüpft, dass das Berechnungsverfahren so manipuliert wird, dass ein möglichst hoher rechnerischer Nutzen von Straßenbauprojekten vorgetäuscht wird.


6.2 Die Kosten-Nutzen-Analyse

Im Zentrum der Bundesverkehrswegeplanung steht die Kosten-Nutzen-Analyse (BMVBW, 2002,S. 7). Die gesamtwirtschaftliche Bewertung erwogener Verkehrsprojekte erfolgt anhand eines Vergleichs der Nutzen und Kostensituation mit und ohne Maßnahme (Planfall gegenüber Vergleichsfall).

Es wird für jedes Projekt ein Nutzen-Kosten-Verhältnis berechnet


(1) NKV = N/K


mit

N=Nutzen pro Jahr

und

K = Zinsen und Abschreibungen für die Investitionskosten pro Jahr


Im Nutzen N sind die Änderungen der Wirkungen des Verkehrsprojekts erfasst und monetär bewertet.


N = NB + NW + NS + NE + NR + NU + NI + NH


mit

NB = Jährlicher Nutzen aus Betriebskostenersparnissen, wobei die Zeitersparnisse des gewerblichen Verkehrs mit enthalten sind

NW = Jährlicher Nutzen aus Ersparnissen für die Erhaltung der Verkehrswege

NS = Jährlicher Nutzen aus einer Verbesserung der Verkehrssicherheit

NE = Jährlicher Nutzen aus Reisezeitersparnissen des nicht gewerblichen Verkehrs (Erreichbarkeitsverbesserung) .

NR = Jährlicher Nutzen aus Räumlichen Wirkungen.

NU = Jährlicher Nutzen aus Umwelteffekten

NI = Jährlicher Nutzen durch den induzierten Verkehr (negativ).

NH = Jährlicher Nutzen aus der verbesserten Anbindung von See- und Flughäfen.


NB und NE sind interne Kosteneinsparungen NW, NS, NR, NU und NH sind externe Kosteneinsparungen. NI spielt eine Sonderrolle, da durch NI die durch Benutzung eines falschen Verkehrsmodells bei allen anderen Nutzenkomponenten auftretenden Fehler korrigiert werden sollen. Diese Korrektur ist allerdings völlig unzureichend.

Einen groben Überblick über die quantitative Bedeutung der einzelnen Nutzenkomponenten der BVWP03 gibt Bild 1, das die durchschnittlichen Beiträge der einzelnen Nutzenkomponenten zeigt (BMVBW, 2002,S. 62). Interessant an Bild 1 ist auch, dass durch Straßenbaumaßnahmen im Mittel Verkehrsunfälle weniger werden (NS ist im Mittel positiv).


Transportkosten (NB) 59 %
Erhaltung der Wege (NW) 2 %
Sicherheit (NS) 14 %
Erreichbarkeit (NE) 48 %
Regionale Effekte (NR) 2 %
Umwelteffekte (NU) -7 %
Hinterlandanbindung (NH) 1 %
Induzierter Verkehr (NI) -15 %

Bild 1 Mittlere Beiträge der Nutzenkomponenten zu den NKV der Pre-Test-Projekte der BVWP 03 (BMVBW, 2002, S. 62)



6.3 Verkehrsmodell und Bewertungsverfahren

Englmann beschreibt das zur Bewertung bei der Bundesverkehrswegeplanung 2003 benutzteVerkehrsmodell (Englmann, 2001,S. 6). Da das Modell davon ausgeht, dass nur 7,7 % des Verkehrs zielvariabel sind, bleiben die Wegelängen nahezu konstant und es ändert sich im wesentlichen das Reisezeitbudget. Verkehrsmodell besteht daher zu 92,3 % aus dem in Bild (3.3,3) dargestellten falschen Vekehrsmodell mit konstanter Fahrtenmatrix und zu 7,7 % aus dem in Bild (3.3,2) dargestellten Verkehrsmodell mit variabler Fahrtenmatrix. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, ob das Verkehrsmodell mit variabler Fahrtenmatrix das Reisezeitbudget konstant hält oder nicht.

Die Bewertung basiert primär auf den Zeitersparnissen des Teilmodells mit konstanter Fahrtenmatrix. Bei der Bewertung entstehen deshalb große Fehler. Bei dem Teilmodell mit variabler Verkehrsleistung wird die auf Verkehrsleistung bezogen Konsumentenrente zur Bewertung benutzt, was nach Anhang A nicht sinnvoll ist. Obwohl der induzierte Verkehr nur bei 7,7 % des Gesamtverkehrs berücksichtigt wird, entstehen nach Bild 1 Nutzenminderungen von 15 %.

Das gemischte Verkehrsmodell wurde nur für eine kleine Auswahl an Projekten durchgerechnet. Die Rechenergebnisse wurden anschließend dazu benutzt, um Zuschlagfaktoren zu ermitteln. Bei der Bewertung einzelner Projekte wird also nur das falsche Modell mit konstanter Fahrtenmatrix durchgerechnet. Zusätzlich wird dann der induzierte Verkehr abgeschätzt. Dieses Verfahren ist aus wissenschaftlicher Sicht unbrauchbar und unnötig kompliziert. Es ist unbrauchbar, da der induzierte Verkehr einen zu großen Einfluss auf die Ergebnisse hat und dieser Einfluss z. B. vom Auslastungsgrad der Netze abhängt. Das Verfahren ist auch unnötig kompliziert, da es viel einfacher wäre, das richtige Verkehrsmodell zu benutzen. Aus verkehrspolitischer Sicht ist das Verfahren eher verständlich. Man kann die Ergebnisse leichter manipulieren. Es spricht alles dafür, dass politisch vorgegeben wurde, wie groß der Einfluss des induzierten Verkehrs auf die Nutzenberechnung werden darf und daraus die ominösen 7,7 % gewonnen wurden.


6.4 Fehlerfaktoren

Um einen quantitativen Eindruck vom Ausmaß der Schönrechnerei bei der Bundesverkehrswegeplanung zu gewinnen, werden für die nach Bild 1 wesentlichen Nutzenkomponenten Fehlerfaktoren ermittelt, mit deren Hilfe aus den schöngerechneten Nutzenwerten die realen Nutzenwerte abgeschätzt werden können. Die Abschätzung erfolgt, indem die schöngerechneten Nutzenwerte mit dem jeweiligen Fehlerfaktor multipliziert werden.

Die Betriebskostenabsenkung und die Erreichbarkeitsverbesserung hängen von den durch die Straßenbauprojekte bewirkten Temposteigerungen ab. Bei der BVWP03 werden nach Englmann, 2001, S. 6 nur 7,7 % der Fahrten als zielvariabel angenommen. Der induzierte Verkehr wird also weitgehend vernachlässigt.

Nach DeCorla-Souca, 1998, S. 16 sinken die Temposteigerungen durch Straßenbaumaßnahmen um den Faktor 2-3, wenn man konstante Reisezeitbudgets annimmt und damit den induzierten Verkehr voll berücksichtigt. Die Fehlerfaktoren für die Betriebskostenabsenkung und die Erreichbarkeitsverbesserung liegen also zwischen 0,33 und 0,5, wobei 0,5 für stark belastete Netze gilt. Diese Fehlerfaktoren sind in Bild 4 eingetragen. Eine getrennte Bewertung des induzierten Verkehrs entfällt dann, weshalb der Korrekturfaktor für NI gleich 0 gesetzt wird.


Betriebskostenersparnisse (NB) 0.33 - 0.5
Erreichbarkeitsverbesserung (NE) 0.33 - 0.5
Erhöhung der Verkehrssicherheit (NS) 0
Regionale Effekte (NR) 0
Umweltwirkungen (NU) 0
Induzierter Verkehr (NI) 0
Investitionskosten (K) 1.8

Dass die Unfallzahlen durch Straßenbaumaßnahmen absinken sollen, ist zunächst überraschend, da ein höheres Tempo in der Regel zu mehr Unfällen führt. Der Grund für den Sicherheitsgewinn ist, dass Autobahnen im Vergleich mit Bundesstraßen kleinere Unfallraten haben (Grenier, 2003 S. 9). Statistische Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der Verkehrstoten und der Verletzten durch Straßenbaumaßnahmen leicht ansteigt (Noland, 2002, S. 23). Wenn man den leichten Anstieg vernachlässigt, dann ergibt sich der Fehlerfaktor 0, der in Bild 4 eingetragen ist.

Auf die Berücksichtigung der regionalen Effekte sollte verzichtet werden, da eine überzeugende theoretische Begründung und darauf aufbauende Messergebnisse fehlen In Bild 4 ist deshalb der Fehlerfaktor 0 eingetragen.

Für die Umweltwirkungen ist ein Fehlerfaktor 0 angenommen. Pfleiderer, 1993, S. 417 hat gezeigt, dass durch Straßenbauprojekte bei Berücksichtigung des induzierten Verkehrs der Benzinverbrauch in allen Geschwindigkeitsbereichen steigt. Becker, 2002 hat durch Messungen nachgewiesen, dass die Umweltbelastungen durch ein Straßenbauprojekt gestiegen sind. Zumindest das negative Vorzeichen ist also durch Berechnungen und Messungen abgesichert. Die Annahme eines Fehlerfaktors 0 ist eine vorsichtige Abschätzung.

Für die Investitionskosten wird ein Fehlerfaktor von 1,8 eingesetzt, da nach Rothengatter, 2002 in Deutschland für die Investitionskosten eine Zinsbelastung von 3 % und in der Schweiz eine jährliche Belastung von 5,3 % angenommen wird. Da die 5.3 % noch weit unter den Marktzinsen und üblichen Abschreibungen liegen, ist der Fehlerfaktor 1,8 als vorsichtige Abschätzung zu betrachten.

Wenn man die Fehlerfaktoren nach Bild 4 und die durchschnittlichen Nutzenbeiträge nach Bild 1 berücksichtigt, dann kann man ausrechnen, dass der mittlere Fehlerfaktor zwischen 0,1 und 0,2 liegt. Das bedeutet, dass für Verkehrsprojekte mit schöngerechneten Nutzen-Kostenfaktoren-Faktoren zwischen 5 und 10 reale Nutzen-Kosten-Faktoren unter 1 haben können und für sie dann kein Bedarf besteht.


6.5 Beispiel

Um zu verdeutlichen, dass man mit Hilfe der Fehlerfaktoren schöngerechnete Nutzen-Kosten-Verhältnisse grob in reale Nutzen-Kosten-Verhältnisse umrechnen kann, ist in Bild 5 ein Beispiel durchgerechnet.


Transportkostensenkungen 19,561 6,46 bis 9,78
Kosten der Wegeerhaltung -0,27 -0,27
Beiträge zur Verkehrssicherheit 5,324 0
Verbesserung der Erreichbarkeit 12,669 4,18 bis 6,33
Regionale Effekte 0,569 0
Umwelteffekte -0,003 0
Nutzen 37,864 10,4 bis 15,8
Investitionskosten 13,054 23,5
Nutzen-Kosten-Verhältnis 2,9 0,49 bis 0,88

Bild 5 Schöngerechnete und reale Nutzen-Kosten-Verhältnisse (A8 Pforzheim/N-Leonberg/W, Baden-Württemberg, 9.4.92).


Aus Bild 5 erkennt man, dass für das Projekt kein Bedarf besteht, da die realen Kosten höher sind als der reale Nutzen.


6.6 Zusammenfassung

Bei der Bundesverkehrswegeplanung wird der volkswirtschaftliche Nutzen von Verkehrsprojekten den Investitionskosten gegenübergestellt. Bei einem Nutzen-Kosten-Verhältnis größer als 3 werden die Projekte dem vordringlichen Bedarf zugeordnet und haben die Chance, realisiert zu werden.

Das Problem bei der Nutzenberechnung ist, dass es starke wirtschaftliche Interessen am Straßenbau gibt. Diese Interessen führen zu der Tendenz, den Nutzen von Straßenbauprojekten zu überschätzen. Straßenbaukritiker lehnen deshalb häufig Planungsverfahren grundsätzlich ab. Eine differenziertere Diskussion setzt aber voraus, dass man quantitativ abschätzt, wie stark die Bundesverkehrswegeplanung schöngerechnet ist.

Man kann das Ausmaß der Schönrechnerei quantitativ erfassen, indem man die Fehlerfaktoren abschätzt, mit denen die schöngerechneten Nutzen-Kosten-Verhältnisse multipliziert werden müssen, um die realen Nutzen-Kosten-Verhältnisse zu ermitteln. Erste Abschätzungen ergeben, dass die Fehlerfaktoren bei der Bundesverkehrswegeplanung zwischen 0,1 und 0,2 liegen.

Ein Fehlerfaktor 0,1 bedeutet, dass ein Verkehrsprojekt mit einem schöngerechneten Nutzen-Kosten-Verhältnis von 10 ein reales Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1 hat. Ein Fehlerfaktor 0,2 bedeutet, dass ein Verkehrsprojekt mit einem schöngerechneten Nutzen-Kosten-Verhältnis von 5 ein reales Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1 hat. Verkehrsprojekte mit schöngerechneten Nutzen-Kosten-Verhältnissen unter 10 können also reale Nutzen-Kosten-Verhältnisse unter 1 haben. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass für viele Projekte des vordringlichen Bedarfs gar kein Bedarf besteht.

7. Schöngerechnete Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen

7.1 Einleitung

Die Bundesverkehrswegeplanung bezieht sich beim Verkehrszweig Straße auf Autobahnen und Bundesstraßen. Für die übrigen Straßen können die Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen benutzt werden (FGSV, 1997). Die EWS97 unterscheidet sich im Verfahren nicht sehr stark von der Bundesverkehrswegeplanung, weshalb eine ausführliche Darstellung nicht notwendig ist. Bezüglich des induzierten Verkehrs kann man sagen, dass die BVWP03 den induzierten Verkehr weitgehend und die EWS97 den induzierten Verkehr vollständig vernachlässigt. Das Verkehrsmodell der EWS97 benutzt konstante Fahrtenmatrizen und es werden reale Reisezeit- und Betriebskostenersparnisse zur Bewertung benutzt (Bild 5.4,1). In der EWS97 werden die Auswirkungen des induzierten Verkehrs nur verbal beschrieben. Diese verbale Beschreibung verschleiert mehr als sie aufklärt. Deshalb ist es sinnvoll, diese verbale Beschreibung zu durchleuchten.


7.2 Der induzierte Verkehr

Die EWS 97 enthält einen Abschnitt über den induzierten Verkehr (FGSV, 1997, S. 11):


„2.9 Induzierter Verkehr der zu bewertenden Maßnahme

Die Verkehrsprognose für das bewertungsrelevante Straßennetz setzt voraus, dass keine verkehrsinfrastrukturellen Kapazitätsengpässe bestehen. Deshalb kann sie außer den Beförderungsleistungen, die von demographischen und sozioökonomischen Faktoren (vor allem Bevölkerungsgröße und –Struktur, Besiedlungsformen, Fertigungs- und Distributionstechnik, produktive Flächennutzung, Einkünfte, Sozialprodukt) sowie deren Entwicklung abhängen, auch solche enthalten, die sich dem Wegebau verdanken. Auch dieser Verkehr belastet dann Wegenetze des Vergleichsfalls. Dadurch schwellen dessen Beförderungskosten an. Von Wegebauten gestiftete Ersparnisse an Beförderungskosten fallen dementsprechend höher aus als sonst. Darin spiegeln sich die Vorteile, die „induzierter Verkehr“ beschert, indem er schlechtere Alternativen der Zeitverwendung substituiert und/oder Stückkosten senkende Produktionsausweitungen und/oder –verlagerungen ermöglicht („Konsumenten-“ bzw. „Produzentenrenten“). Die von ihm andererseits verursachten Nachteile drücken sich darin aus, dass er Verkehrsstärken des Planfalls steigert und so Beförderungsprozesse, die sich in diesem abspielen, verteuert (eigene Beförderungskosten und Beeinträchtigung von übrigem Verkehr).“

Bei dem Abschnitt über den induzierten Verkehr wird auf ein Verkehrsmodell mit unelastischer Nachfrage und einer Bewertung durch reale Reisezeit- und Kosteneinsparungen Bezug genommen. Es wird diskutiert, wie sich die Bewertungsergebnisse ändern, wenn man den induzierten Verkehr berücksichtigt. Ein erster Effekt bringt Vorteile und ein zweiter Effekt bringt Nachteile. Es fehlen allerdings quantitative Abschätzungen, sodass man nicht weiß, welcher Effekt dominiert.

Da sich das System im Gleichgewicht befindet, ist der Nutzen von eingesparten und reinvestierten Zeiten in guter Näherung gleich groß. Man kann ein Verkehrsmodell mit elastischer Nachfrage (mit induziertem Verkehr) deshalb in guter Näherung durch die auf konstante Distanzen bezogenen Reisezeit- und Kosteneinsparungen bewerten. Das wird auch bei der Standardisierten Bewertung von ÖV-Investitionen so gemacht (Intraplan, 2000, S. 56). Die Erhöhung der Ersparnisse durch die Reinvestition des induzierten Verkehrs ist daher vernachlässigbar klein. Der erste Effekt kann also vernachlässigt werden.

Der zweite Effekt ist von gravierender Bedeutung. Die volle Berücksichtigung des induzierten Verkehrs durch unterschiedliche Fahrtenmatrizen im Vergleichsfall und Planungsfall reduziert die auf konstante Distanzen bezogenen Reisezeit- und Kosteneinsparungen um den Faktor 2 bis 3 (DeCorla-Souza, 1998, S. 16).

Den großen Einfluss des induzierten Verkehrs auf die Bewertungsergebnisse kann man sich klar machen, wenn man die Prognose in die Überlegungen einbezieht. Die Prognose wird für den Planfall erstellt. Die daraus folgende Fahrtenmatrix wird für den Planfall und den Vergleichsfall benutzt. Im Vergleichsfall entstehen dann rechnerisch große Reisezeiten, die es in Wirklichkeit nicht gibt, da sich der Verkehr an das Netz anpasst. Es kann sogar vorkommen, dass die Verkehrsmengen gar nicht auf das Netz des Vergleichsfalls passen und die Q-V-Diagramme in den nicht messbaren (nicht existierenden) Bereich verlängert werden müssen, um als unsinnig erkennbare unendlich große Reisezeitersparnisse zu vermeiden.

Zu einer realitätsnahen Bewertung ist ein Verkehrsmodell notwendig, das durch die Berücksichtigung des nahezu konstanten Reisezeitbudgets den induzierten Verkehr voll berücksichtigt. Außerdem sollte man die Prognose für konstant angenommene Reisezeiten machen. Mit einem Verkehrsmodell, das den induzierten Verkehr voll berücksichtigt, kann man dann die Vergleichsfallmatrix und die Planfallmatrix berechnen. Es würden sich dann realitätsnahe Zeit- und Kosteneinsparungen des verbleibenden Verkehrs ergeben.

Wichtig ist auch, dass beim ÖV der induzierte Verkehr keinen wesentlichen Einfluss auf die Bewertung hat, da die Reisezeiten in der Regel nicht von der Belastung abhängen. Eine verkehrsträgerübergreifende Verkehrsplanung ist daher nur sinnvoll durchführbar, wenn man den induzierten Verkehr beim Verkehrsträger Straße voll berücksichtigt.

Zwar wehrt sich die Straßenbaulobby schon gegen die 7.7 % des induzierten Verkehrs, die bei der BVWP03 berücksichtigt werden (Willeke, 2003, S. 527). Falls die Mittelverteilung zwischen Straße und Schiene von einer verkehrsträgerübergreifenden Bewertung abhängig werden sollte, wird die ÖV-Lobby aber eine volle Berücksichtigung des induzierten Verkehrs verlangen. Zumindest werde ich das der ÖV-Lobby dringend empfehlen.


7.3 Bewertung des induzierten Verkehrs durch die EWS und Cerwenka

Cerwenka ist Mitglied der Arbeitsgruppe Verkehrsplanung der FGSV, die die EWS erarbeitet hat. Es ist deshalb nicht überraschend, dass die qualitative Beurteilung des induzierten Verkehrs bei der EWS mit den wissenschaftlichen Ergebnissen von Cerwenka grob übereinstimmen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse von Cerwenka zur Beurteilung heranzuziehen, hat den Vorteil, dass Cerwenka seine Methode vollständig beschreibt und auch ein praktisches Beispiel (Südtangente Hamburg) durchrechnet.

Der induzierte Verkehr hat drei wesentliche Wirkungen auf die Nutzen-Kosten-Verhältnisse von Straßenbauvorhaben:

Cerwenka erwähnt alle drei Wirkungszusammenhänge (Cerwenka, 1997, S. 235-236). Cerwenka nimmt aber an, dass die Reisezeiten nicht von der Belastung abhängen. Damit wird der erste und wichtigste Effekt vernachlässigt.

Den zweiten und dritten Effekt erfasst Cerwenka rechnerisch Bei dem durchgerechneten praktischen Beispiel ergibt sich eine Verringerung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses um 15 %. Diese 15 % entstehen ganz durch die Änderung der externen Kosten. Das Ergebnis stimmt also mit den Zahlenangaben für den zweiten Effekt überein. Der dritte Effekt ist bei dem Beispiel von Cerwenka vernachlässigbar, was mit den Angaben unter 3. übereinstimmt.

Nicht ganz klar ist, warum es Cerwenka für eine offene Frage hält, ob die Berücksichtigung des induzierten Verkehrs die Nutzen-Kosten-Verhältnisse erhöht oder nicht (Cerwenka, 2002 b, S. 282). Er liegt mit dieser Einschätzung aber auf einer Linie mit der EWS (FGSV, 1997, S. 11).


7.4 Zusammenfassung und Ausblick

Da die EWS in der Methodik der BVWP nachhinkt, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die FGSV bei der Berücksichtigung des induzierten Verkehrs eine Vorreiterrolle einnehmen wird. Trotzdem ist eine Diskussion mit Cerwenka sinnvoll, die z. B. klären könnte, ob es sinnvoll ist, bei der Berücksichtigung des induzierten Verkehrs die Belastungsabhängigkeit der Reisezeiten im Netz zu vernachlässigen oder nicht. Auf Dauer könnte sich dann die FGSV den wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht verschließen, ohne unglaubwürdig zu werden.

8. Harte Straßenbaukritiker

8.1 Einleitung

Es gibt nur wenige Straßenbaukritiker, die Verkehrsmodelle und Bewertungsverfahren kritisieren. Nur bei dieser kleinen Zahl kann man untersuchen, ob und wie der induzierte Verkehr berücksichtigt wird.


8.2 Knoflacher

Knoflacher hat im deutschen Sprachraum als erster darauf hingewiesen, dass Straßenbaumaßnahmen ganz wesentlich durch Reisezeiteinsparungen begründet werden, die es in Wirklichkeit nicht gibt, da das Reisezeitbudget nahezu konstant bleibt (Knoflacher, 1986, S. 456). Knoflacher benutzt also das richtige (realitätsnähere) Verkehrsmodell (Bild 5.4,1).

Knoflacher weist darauf hin, dass man Straßenbaumaßnahmen nicht mit Reisezeitersparnissen begründen kann, da diese bei einem konstanten Reisezeitbudget gleich 0 sind. Er sagt aber nicht eindeutig, ob und wie Mobilitätsgewinne bei einem Verkehrsmodell mit elastischer Nachfrage bewertet werden sollen. Bei der Bewertung sind deshalb in Bild 5.4,1 Fragezeichen eingetragen.


8.3 Pfleiderer

Pfleiderer kritisiert seit vielen Jahren die Straßenbauplanung (LNV, 1998) und insbesondere die Bundesverkehrswegeplanung (Pfleiderer, 1995, S. 609-614). Pfleiderer konzentriert sich auf die Kritik der benutzten Verkehrsmodelle und fordert die Berücksichtigung des konstanten Reisezeitbudgets. Das von ihm benutzte Verkehrsmodell ist also richtig (Bild 5.4,1).

Pfleiderer geht nur ganz kurz auf das Bewertungsverfahren ein (LNV, 1998, S. 24). Er benutzt dabei reale Zeit- und Betriebskostenersparnisse, was bei einem Verkehrsmodell mit elastischer Nachfrage nicht richtig ist (Bild 5.4,1).


8.4 Grenier

Grenier hat sich mit einer Kritik der Bewertungsverfahren für Straßenbauprojekte aus Sicht des Umweltschutzes befasst (Grenier, 2003). Er fordert die volle Berücksichtigung des induzierten Verkehrs durch die Berücksichtigung eines konstanten Reisezeitbudgets. Das von ihm benutzte Verkehrsmodell ist also richtig (Bild 5.4,1).

Beim Bewertungsverfahren hält Grenier die Frage für offen, ob reale Zeit- und Betriebskostenersparnisse oder auf den verbleibenden Verkehr bezogene Zeit- und Betriebskostenersparnisse benutzt werden sollen (Grenier, 2003, S. 7). In Bild 5.4,1 sind deshalb in der mit Grenier b bezeichneten Zeile beide Verfahren angekreuzt.

Nachdem Grenier seine Broschüre (Grenier, 2003) veröffentlicht hat, ist eine Diskussion darüber entstanden, welches Bewertungsverfahren für Verkehrsmodelle mit elastischer Nachfrage benutzt werden muss. In dieser Diskussion hat Grenier zugestanden, dass die Bewertung auf der Basis des verbleibenden Verkehrs sinnvoll ist. Bild 5.4,1 dokumentiert diesen Diskussionsstand durch die mit Grenier b bezeichnete Zeile.


8.5 Zusammenfassung und Ausblick

Die Straßenbaukritiker fordern alle eine volle Berücksichtigung des induzierten Verkehrs. Sie benutzen also das richtige Verkehrsmodell.

Beim Bewertungsverfahren schwanken die Straßenbaukritiker zwischen der Bewertung durch reale Zeit und Betriebskosteneinsparungen und Zeit und Betriebskosteneinsparungen des verbleibenden Verkehrs. Eine einheitliche und überzeugende Linie beim Bewertungsverfahren würde natürlich die Wirksamkeit der Kritik verbessern.

Von Straßenbaukritikern wurde das für den ÖV benutzte Bewertungsverfahren bisher nicht zur Kenntnis genommen. Es ist zu hoffen, dass sich das ändern lässt.

Außer den Mobilitätsgewinnen müssen natürlich auch die Verkehrsbelastungen bewertet werden. Auch bei der Bewertung von Verkehrsbelastungen ist die Berücksichtigung des induzierten Verkehrs von entscheidender Bedeutung. Der induzierte Verkehr erhöht die Zahl der Unfälle, vergrößert den Lärm und erhöht die Luftverschmutzung.

9. Die weiche Straßenbaukritik der umweltorientierten Verkehrsplaner

9.1 Einleitung

Da der Straßenverkehr bei den Umweltbelastungen eine herausragende Rolle spielt, ist es naheliegend, sich aus Sicht des Umweltschutzes mit der Verkehrsplanung zu befassen. In aller Regel wird aber von Umweltschützern nicht beachtet, dass eine sinnvolle umweltorientierte Verkehrsplanung nur möglich ist, wenn man den induzierten Verkehr voll berücksichtigt.

Wenn durch eine Vernachlässigung des induzierten Verkehrs der Mobilitätsnutzen von Straßenbaumaßnahmen um den Faktor 2-3 überschätzt wird, dann ist das gleichbedeutend mit der Unterschätzung von Umweltbelastungen, da bei Nutzen-Kosten-Verhältnissen die Differenz aus Mobilitätsnutzen und Umweltschäden gebildet wird.

Noch deutlicher wird die Bedeutung des induzierten Verkehrs, wenn man den Benzinverbrauch als Leitgröße für Abgasbelastungen betrachtet. Wenn man den induzierten Verkehr vernachlässigt, führen Straßenbaumaßnahmen in der Regel zu einer Senkung des Benzinverbrauchs, da mit günstigerem Tempo gefahren wird. Wenn man den induzierten Verkehr voll berücksichtigt, dann steigt in der Regel der Benzinverbrauch (Pfleiderer, 1993, S. 416-417). Becker kommt für die Umweltbelastungen zum gleichen Ergebnis (Becker, 2002, S. 153).

Wenn sich Umweltschützer darauf beschränken, die Gewichtung der Abgasbelastungen zu diskutieren, dann wird durch das falsche Verkehrsmodell das Vorzeichen umgedreht. Ohne Berücksichtigung des induzierten Verkehrs führen Straßenbaumaßnahmen zu einer Reduktion der CO2-Belastungen. Man müsste also möglichst viele Straßen bauen, um die CO2-Belastungen zu verringern. In Wirklichkeit muss man die Straßen rückbauen, um die CO2-Belastungen zu verringern.

Dass eine sinnvolle umweltorientierte Verkehrsplanung nur möglich ist, wenn man ein realitätsnahes Verkehrsmodell mit voller Berücksichtigung des induzierten Verkehrs benutzt, wird bisher von Umweltschützern kaum zur Kenntnis genommen. Die Ergebnisse der umweltorientierten Verkehrsplanung sind deshalb bisher für die verkehrspolitische Diskussion bedeutungslos geblieben


9.2 Umweltorientierte Bundesverkehrswegeplanung

Vom Umweltbudesamt wurde eine umfangreiche Studie über die umweltorientierte Bundesverkehrswegeplanung durchgeführt (UBA, 1999). Die Studie des Umweltbundesamtes zeigt deutlich, dass die Bedeutung des induzierten Verkehrs für die umweltorientierte Verkehrsplanung nicht erkannt wurde.

Das Verkehrsmodell hält das Reisezeitbudget nicht konstant, sondern setzt eine obere Schranke für das Reisezeitbudget (UBA, 1999, S. 242). Dafür existieren keinerlei Messungen und es wird auch auf keine Messungen verwiesen, die eine obere Schranke für das Reisezeitbudget rechtfertigen würden. Da bei Straßenbaumaßnahmen das Reisezeitbudget sinkt, wenn man den induzierten Verkehr nicht voll berücksichtigt, wird die obere Schranke bei den untersuchten Szenarien gar nicht wirksam. Da ein Gravitationsmodell benutzt wird, sind weder Reisezeitbudget noch Fahrtenmatrix konstant (Bild 5.4,1).

Bei der Bewertung werden reale Zeit- und Betriebskosteneinsparungen benutzt (Bild 5.4,1). Dies ist bei einem Verkehrsmodell mit elastischer Nachfrage nicht sinnvoll.

Das Umweltbundesamt kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass der induzierte Verkehr keine große Bedeutung hat (UBA, 1999, S. 287): „Die Abschätzung der primären induzierten Neuverkehre ist für eine verursachungsgerechte Abbildung von Maßnahmewirkungen wichtig, obwohl sie nur geringe Bedeutung haben“.

Wenn man die verglichenen Szenarien genauer betrachtet, kommt man zum Ergebnis, dass der durch Straßenbaumaßnahmen induzierte Verkehr durch drastische Tempobegrenzungen kompensiert wird. Dass dies möglich ist, ist selbstverständlich. Es ist aber auch klar, dass die Straßenplaner Mobilitätsgewinne anstreben und gar nicht daran denken, die Mobilitätsgewinne durch Tempobeschränkungen zu kompensieren. Für die verkehrspolitische Diskussion ist die Studie daher nicht nur unbrauchbar, sondern erweckt einen falschen Eindruck..

Kaum nachvollziehbar ist, warum die Studie auf eine Bewertung konkreter Straßenbauprojekte verzichtet, da es Aufgabe der Bundesverkehrswegeplanung ist, konkrete Projekte zu bewerten. Begründet wird das mit dem Hinweis, dass es ausreicht, den Weg zu einer Bewertung aufzuzeigen. Es bleibt völlig unklar, wer diesen Weg gehen soll. Diese fundamentale Lücke des Berichtes kann man sich nur erklären, wenn man vermutet, dass eine Konfrontation mit den Straßenbauanhängern vermieden werden sollte.


9.3 Kostenminimierende Verkehrsplanung

Im Auftrag des Umweltbundesamtes wird seit einigen Jahren die kostenminimierende Verkehrsplanung (LCPT=low cost transportation planning) untersucht (UBA, 2002). Es soll dabei ein aus dem Energiesektor stammendes Verfahren auf den Verkehrsbereich übertragen werden.

Seit über zwei Jahrzehnten wird im Energiesektor in Nordamerika der Ansatz des Least Cost Planning verfolgt. Er zielt darauf ab, Energieträger durch preiswertere Alternativtechnologien zu ersetzen, beispielsweise Heizöl durch Wärmedämmung. Mit der Honorierung von Energiesparmaßnahmen wurde erreicht, dass ein Teil von Investitionen zu Kapazitätserweiterungen zum beiderseitigen Nutzen entbehrlich wurden.

Im Energiesektor wird der Nutzen beim Endverbraucher konstant gehalten, sodass die kostenminimale Lösung die optimale Lösung ist. Wenn man den Nutzen beim Endverbraucher nicht konstant hält, dann ist die kostenminimale Lösung, ganz auf Kraftwerke zu verzichten. Daraus folgt, dass die Kostenminimierung nur bei konstantem Nutzen für den Endverbraucher sinnvoll ist.

Bei der Übertragung auf den Verkehrsbereich (LCPT) muss der Nutzen für die Verkehrsteilnehmer konstant gehalten werden, wenn die kostenminimierende Verkehrsplanung sinnvoll eingesetzt werden soll.

Bei den Beispielen der UBA-Studie wird die Mobilität nicht konstant gehalten. Als optimale Lösung müsste dann der kostenlose Fußgängerverkehr herauskommen. Fast optimal wäre auch noch eine Kombination aus Rad- und Fußverkehr. Bei der UBA-Studie werden diese optimalen Lösungen verhindert, indem sie gar nicht als Alternative untersucht werden. Das Ergebnis der kostenminimierenden Verkehrsplanung wird also ganz entscheidend durch die Auswahl der zu untersuchenden Alternativen bestimmt. Unter den untersuchten Alternativen werden die kostengünstigsten bevorzugt. Alternativen mit hohen Anteilen von Rad- und Fußverkehr schneiden dabei natürlich gut ab. Ein Verfahren, bei dem man durch eine gezielte Auswahl von zu untersuchenden Alternativen verhindern muss, dass die im Sinne des Verfahrens optimale Lösung gefunden wird, ist natürlich nicht sinnvoll.

Die kostenminimierende Verkehrsplanung ist für Verkehrsprojekte, die die Mobilität erhöhen sollen, nicht geeignet. Es gibt aber aus Sicht des Umweltschutzes hoch interessante Beispiele, bei denen die Mobilität konstant gehalten wird. Pfleiderer fordert z. B. den verkehrsmengenneutralen Umgehungsstraßenbau (LNV, 1998, S.7) und den verkehrsmengenneutralen Ausbau des ÖV. Diese Konzepte haben gegenüber den verkehrsmengensteigernden Konzepten den Vorteil, dass die Umweltbelastungen abnehmen. Analog dazu wäre auch ein verkehrsmengenneutraler Ausbau des Radverkehrs ein aus Sicht des Umweltschutzes sinnvolles Konzept.

Für die kostenminimierende Verkehrsplanung wird ein Verkehrsmodell mit konstantem Reisezeitbudget vorgeschlagen (Bild 5.4,1). Da Mobilitätsänderungen nicht bewertet werden, werden weder reale Reisezeit- und Betriebskosteneinsparungen noch Zeit- und Betriebskosteneinsparungen des verbleibenden Verkehrs zur Bewertung benutzt (Bild 5.4,1). Mobilitätsänderungen werden ignoriert.


9.4 Zusammenfassung und Ausblick

Bei der umweltorientierten Verkehrsplanung entsteht der Eindruck, dass eine Konfrontation mit der Straßenbaulobby vermieden werden soll. Es wird deshalb keine Vergleichsrechnungen für konkrete Straßenbauprojekte durchgeführt. Nur solche Vergleichsrechnungen wären für die verkehrspolitische Diskussion von Nutzen. Es ist also nicht damit zu rechnen, dass die umweltorientierten Verkehrsplaner die Schönrechnerei bei der Straßenbauplanung aufdecken werden. Die harten Straßenbaukritiker werden also auch in Zukunft diese Aufgabe übernehmen müssen.

Es entsteht aber nicht der Eindruck, dass Verkehrsmodelle und Bewertungsverfahren gezielt so ausgewählt werden, dass eine Konfrontation mit den Straßenbauanhängern vermieden wird. Daher erscheint es aussichtsreich, eine fachliche Diskussion mit dem Ziel zu führen, dass der induzierte Verkehr beim Verkehrsmodell voll berücksichtigt und ein geeignetes Bewertungsverfahren eingesetzt wird.

10. Die ungezielte Straßenbaukritik der Stadt- und Regionalplaner

10.1 Einleitung

Die Stadt- und Regionalplaner gehen in der Regel davon aus, dass die Wegelängen von der Siedlungsdichte abhängen. Wenn man durch eine Erhöhung der Siedlungsdichte die Wegelängen verkürzen könnte, ohne die Geschwindigkeit abzusenken, dann würden auch die Reisezeiten verkürzt. Dies steht im Widerspruch zum konstanten Reisezeitbudget. In Wirklichkeit muss man die Geschwindigkeit absenken, wenn man die Wegelängen verkürzen will.

Solange die Stadt- und Regionalplaner glauben, man könnte durch Stadtstrukturänderungen Reisezeiten einsparen, können sie natürlich nicht gezielt kritisieren, dass die Straßenbauer glauben, sie könnten durch Straßenbaumaßnahmen Reisezeiten einsparen.


10.2 Das Märchen von der Stadt- der kurzen Wege

Messungen zeigen, dass Städte mit hoher Siedlungsdichte (kompakte Städte) kleinere Wegelängen aufweisen. In der Regel wird daraus geschlossen, dass man die Siedlungsdichte erhöhen muss, um die Wegelängen zu verkürzen. Kompakte Städte weisen aber auch geringere Geschwindigkeiten auf. Deshalb kann man aus den gleichen Messungen unterschiedliche Schlüsse ziehen.

Gezielte Vergleichsmessungen zwischen London (geringe Dichte) und Paris (hohe Dichte) haben nun gezeigt, dass wegen der bei gleichem Abstand vom Zentrum nahezu gleichen Geschwindigkeiten in beiden Städten auch die Wegelängen nahezu gleich sind. Diese Messungen zeigen eindeutig, dass die Wegelängen durch die Geschwindigkeiten und nicht durch die Siedlungsdichte bestimmt sind (Mogridge, 1986, S. 103).

Die häufig vertretene Meinung, man könnte die Wegelängen rein durch eine Änderung der Siedlungsstruktur ändern, ist also ein Märchen. Diese Märchen ist allerdings sehr beliebt und wird häufig erzählt.


10.3 Die integrierte Stadt- und Verkehrsplanung mit klarer Aufgabenverteilung

Wenn man annimmt, dass die Wegelängen durch die Geschwindigkeit bestimmt sind, dann ergibt sich bei der integrierten Stadt- und Verkehrsplanung eine klare Aufgabenverteilung. Die Verkehrsplanung muss für das gewünschte Temponiveau sorgen. Die Stadtplanung muss sicherstellen, dass Stadtgebiete und Städte mit geringem Tempo attraktiv bleiben. Das ist möglich, da bei geringen Geschwindigkeiten nicht nur die Verkehrsmengen sondern auch die Verkehrsstörungen stark abnehmen. Natürlich muss eine mittlere Geschwindigkeit sichergestellt werden, die genügend große und helle Wohnungen möglich macht. Eine weiträumige Zersiedelung des Stadtumfeldes muss aber nicht ermöglicht werden.

Anhang A: Die auf Verkehrsleistung und auf Fahrten bezogene Konsumentenrente

A.1 Einleitung

Zur Bewertung des internen Nutzens bei Verkehrsmodellen mit variabler Nachfrage ( mit Berücksichtigung des induzierten Verkehrs) wird die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente (Heimerl, 2000, S. 56) und die auf Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente vorgeschlagen (Haag, 1999, S. 31).

Da die Bewertung durch die Konsumentenrente aus der Wirtschaftswissenschaft stammt, wird in Abschnitt A.2 ein Beispiel aus der Wirtschaft durchgerechnet. Zur Übertragung der Bewertungsmethode auf Verkehrsprojekte wird die in Bild 1 dargestellte Analogie zwischen Kunden und Verkehrsteilnehmern benutzt.


Kunde
Verkehrsteilnehmer
Warenmenge
Verkehrsmenge
Kosten
Zeit- und Betriebskosten

Bild 1 Analogie zwischen Kunden und Verkehrsteilnehmern


Die Verkehrsmenge kann man durch die Verkehrsleistung und durch Fahrten beschreiben. Daher gibt es zwei unterschiedliche Bewertungsverfahren. Man kann die Konsumentenrente auf die Verkehrsleistung und auf Fahrten beziehen. In Abschnitt A.3 wird für ein Beispiel gezeigt, warum die auf Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente zu unsinnigen Ergebnissen führen kann. In Abschnitt A.4 wird gezeigt, dass die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente zu sinnvollen Ergebnissen führt.


A.2 Ein Beispiel aus der Wirtschaft

Bild 1 zeigt ein Beispiel aus der Wirtschaft mit variabler Nachfrage. Variable Nachfrage soll heißen, dass bei geringeren Preisen größere Warenmengen gekauft werden.


Ohnefall: Der Kunde kauft 1 kg Äpfel, die 2 EUR kosten
Mitfall 1: Die Äpfel werden billiger und kosten nur noch 1 EUR pro kg. Der Kunde kauft 2kg und muss 2 EUR bezahlen.(Nutzen: 1,5 EUR)
Mitfall 2: Die Äpfel werden billiger und kosten 1,90 EUR pro kg. Der Kunde kauft 1,05 kg und muss 2 EUR dafür bezahlen. (Nutzen: 0,10 EUR)

Bild 1 Ein Beispiel mit variabler Nachfrage und gleich bleibenden Gesamtkosten


Das in Bild 1 dargestellte Beispiel mit gleich bleibenden Gesamtkosten erscheint zunächst etwas künstlich. Dieser Sonderfall wurde gewählt, um die Ergebnisse leicht auf den Verkehrsbereich übertragen zu können. Auch die Bezeichnungen Ohnefall (ohne Preissenkung) und Mitfall (mit Preissenkung) wurden aus dem Verkehrsbereich entlehnt.

Beim Mitfall 1 (mit Preissenkung) hat der Kunde gegenüber dem Ohnefall (ohne Preissenkung) den Vorteil, dass er für das gleiche Geld 1 kg Äpfel zusätzlich bekommt. Die Frage ist, welchen Wert dieses zusätzliche kg Äpfel hat, da der Preis pro kg im Ohnefall 2 EUR und im Mitfall 1 EUR beträgt. Es ist naheliegend, einen mittleren Preis von 1,5 EUR pro kg zur Bewertung zu verwenden. Der Nutzen im Mitfall 1 beträgt dann 1,5 EUR, was in Bild 1 eingetragen ist.

Wenn sich die Preise nur geringfügig ändern, dann kann man auf die Mittelwertbildung verzichten. Im Mitfall 2 sinkt der Preis pro kg Äpfel nur von 2 EUR auf 1,90 EUR. Wenn man die Gesamtausgaben bei 2 EUR belässt, erhält man 0,05 kg Äpfel zusätzlich. Das ergibt einen Nutzen von 0.05kg*1,95 EUR/kg =0.098 EUR. Dieser Wert weicht nur sehr wenig von den auf 1 kg Äpfel bezogenen Einsparungen von 0,10 EUR ab. Bei kleinen Preisänderungen ergibt sich also der Nutzen als die auf eine konstante Warenmenge bezogene fiktive Kosteneinsparung. Real wird bei dem Beispiel nichts gespart, da die Gesamtausgaben von 2 EUR unverändert bleiben.


A.3 Die auf Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente

Zunächst ist es naheliegend, die Verkehrsleistung als Maß für die Verkehrsmenge zu benutzen, da die Verkehrsleistung ein übliches Maß für die Verkehrsmenge ist. Von Haag, 1999, S. 31 wird auch der Nutzen des induzierten Verkehrs mit Hilfe der auf die Verkehrsleistung bezogenen Konsumentenrente berechnet. Warum das nicht sinnvoll ist, kann man am einfachsten mit Hilfe eines Beispiels einsehen. Das folgende Beispiele ist aus den von Cerwenka vorgestellten Beispielen abgeleitet (Cerwenka, 1997, S. 236-239). Es werden nur Zeitkosten berücksichtigt, da diese zur Veranschaulichung des Problems ausreichen.

Bild 1 zeigt den Ohnefall. Es wird eine Strecke von A nach B der Länge Lo = 10 km betrachtet. Im Ohnefall ist die Geschwindigkeit Vo = 30 km/h und die Verkehrsbelastung in beiden Richtungen zusammen Do = 15 000 Kfz/d. Die gesamte Verkehrsleistung ist dann So = Do*Lo = 150 000 Kfz-km/d. Das Reisezeitbudget ist To = 5000 Kfz-h/d.


Grafik

Lo = 10 km

Do = 15 000 Kfz/d (beide Richtungen zusammen)

Vo = 30 km/h

So = Do*Lo = 150 000 Kfz-km/d

To = So/Vo = 5 000 Kfz-h/d


Bild 1 Ohnefall



Bild 2 zeigt eine schnelle Umgehungsstraße als Mitfall. Die Länge steigt auf den doppelten Wert ( Lm = 2* Lo). Die Geschwindigkeit verdoppelt sich ebenfalls (Vm=2*Vo), sodass die Reisezeiten von A nach B konstant bleiben. Die Verkehrsleistung verdoppelt sich ebenfalls (Sm=2*So). Das Reisezeitbudget bleibt konstant (Tm=To).


Grafik
Lm = 20 km Dm = 15 000 Kfz/d (beide Richtungen zusammen) Vm = 60 km/h Sm = Dm*Lm = 300 000 Kfz-km/d Tm = Sm/Vm = 5 000 Kfz-h/d

Bild 2 Mitfall



Bild 3 veranschaulicht die Konsumentenrente


(1) N = (1/Vo – 1/Vm)*(So + Sm)/2 = 3750 Kfz-h/d


Diagramm 1

Bild 3 Veranschaulichung der auf Verkehrsleistung bezogenen Konsumentenrente


Die auf die Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente ergibt bei dem Beispiel einen Nutzen von 3750 Kfz-h/d, was ¾ der gesamten im Sytem verbrachten Zeit von 5000 Kfz-h/d entspricht. Dieses Ergebnis ist nicht plausibel, da die gleichen Ziele in gleicher Zeit erreicht werden. Es ist unklar, warum das einen Nutzen haben soll.

Das Ergebnis der auf Verkehrsleistung bezogenen Konsumentenrente steht auch im Widerspruch zum Verkehrsverhalten. Die Verkehrsteilnehmer wählen in guter Näherung die zeitlich kürzesten Wege. Wenn die auf die Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente ein sinnvolles Bewertungsmaß wäre, dann müssten Umwege mit hoher Geschwindigkeit auch dann benutzt werden, wenn die Reisezeiten zwischen A und B länger werden. Dies ist nicht der Fall.

Insgesamt kommt man zu dem Ergebnis, dass die auf die Verkehrsleistung bezogene Konsumentenrente kein sinnvolles Bewertungsmaß ist, da Umwege mit höherer Geschwindigkeit auch dann positiv bewertet werden, wenn sie zu längeren Reisezeiten zwischen festen Punkten führen.


A.4 Die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente

Zur Erläuterung der auf Fahrten bezogenen Konsumentenrente kann man das in Abschnitt A.2 benutzte Beispiel heranziehen. Die Zahl der Fahrten im Ohnefall und im Mitfall ist gleich. Auch die Reisezeiten pro Fahrt ändern sich nicht. Nach Bild 1 ist die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente 0. Die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente liefert also ein sinnvolles Ergebnis. Alle in der Praxis bisher benutzten Bewertungsverfahren (BVWP 92, EWS 97, Standi 00) benutzen daher zur Bewertung des internen Nutzens die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente.


Diagramm 1

Bild 1 Veranschaulichung der auf Fahrten bezogenen Konsumentenrente



A.5 Die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente bei variabler Fahrtenhäufigkeit

Wenn man die Verkehrsmenge durch die Zahl der Fahrten beschreibt, dann lässt sich der Fall variabler Fahrtenhäufigkeit und konstanter Fahrtenlänge am einfachsten beschreiben. Bild 1 zeigt den Ohnefall für ein Beispiel.


Grafik 1

AB: 10 km, 20 min

FAB = 10 000 Pers./d

V = 30 km/h   S = 100 000 km/d    TAB = 200 000 min/d   T = 200 000 min/d


Bild 1 Ohnefall


In Bild 2 ist der Mitfall dargestellt. Die Reisezeit nimmt ab, die Geschwindigkeit steigt, die Verkehrsleistung steigt und das Reisezeitbudget bleibt konstant.



Grafik 2

AB: 10 km, 16 min

FAB = 12 500 Pers./d

V = 37,5 km/h   S = 125 000 km/d   TAB = 200 000 min/d   T = 200 000 min/d


Bild 2 Mitfall


Bild 3 veranschaulicht die Konsumentenrente. Man kann nun die Konsumentenrente nach einem Verfahren berechnen, das sich leicht auf den Fall variabler Fahrtenlängen erweitern lässt. Man kann die fiktiven Reisezeitersparnisse für die Ohnefallmatrix (FAB=10000 Pers./d) und für die Mitfallmatrix (FAB=12500 Pers./d) berechnen und anschließend den Mittelwert bilden.



Diagramm 1

Bild 3 Veranschaulichung der Konsumentenrente für das in Bild 1 und Bild 2 dargestellte Beispiel.


Die fiktiven Reisezeitersparnisse für die Ohnefallmatrix ergeben sich zu 4 min*10 000/d = 40 000 min/d. Die fiktiven Reisezeitersparnisse für die Mitfallmatrix ergeben sich zu 4 min * 12 500/d = 50 000 min/d. Als Mittelwert ergeben sich 45 000 min/d, was der in Bild 3 gestrichelt dargestellten Fläche entspricht Näherungsweise kann man sich auf die fiktiven Reisezeitersparnisse der Ohnefallmatrix von 40 000 min/d beschränken


A.6 Die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente bei variabler Zielwahl.

Da sich in der Realität bei Temposteigerungen nicht die Fahrtenzahl, sondern die Fahrtenlänge vergrößert, muss man das Bewertungsverfahren für diesen Fall erweitern. Zur Erläuterung der Erweiterung wird ein Beispiel benutzt. Bild 1 zeigt den Ohnefall und Bild 2 den Mitfall.


Grafik 3

AB: 10 km, 20 min   BC: 2 km, 4 min

FAB = 10 000 Pers/d

V = 30 km/h   S = 100 000 km/d   T = 200 000 min/d


Bild 1 Ohnefall



Grafik 4

AB: 10 km, 16 min   BC: 2 km, 3,2 min

FAC =10 000 Pers./d

V = 36 km/d   S = 120 000 km/d   T= 200 000 min/d


Bild 2 Mitfall bei konstanter Wegehäufigkeit und konstantem Reisezeitbudget


Die Fahrtenlängen steigen beim Mitfall nach Bild 2 um 2 km. Zur Nutzenberechnung kann man das in Abschnitt A.4 beschriebene Rezept übernehmen. Man muss die auf die Ohnefallmatrix bezogenen fiktiven Reisezeitersparnisse und die auf die Mitfallmatrix bezogenen fiktiven Reisezeitersparnisse berechnen und anschließend den Mittelwert bilden.

Die fiktiven auf FAB bezogenen Reisezeitersparnisse sind 4 min*10 000/d = 40 000 min/d. Die fiktiven auf FAC bezogenen Reisezeitersparnisse sind 4,8 min*10 000/d = 48 000 min/d. Man kann den Mittelwert von 44 000 min/d zur Bewertung heranziehen. In erster Näherung genügen auch die fiktiven auf FAB bezogenen Reisezeitersparnisse von 40 000 min/d.

Zumindest die erste Näherung ist plausibel. Da der Nutzen von zwischen festen Punkten A und B eingesparten Zeiten in erster Näherung unabhängig davon ist, ob diese Reisezeitersparnisse reinvestiert werden oder nicht, ist es auch nicht von Bedeutung, ob sie als zusätzlich Fahrten oder als längere Fahrten reinvestiert werden.

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